Westfalen-Blatt: Das Westfalen-Blatt (Bielefeld) zum Kreuzfahrt-Unglück:
(ots) - Die Kreuzfahrtbranche blickt auf einen
unglaublichen Boom in den vergangenen Jahren zurück. Urlaub auf See
liegt seit geraumer Zeit im Trend. Die Passagierzahlen allein in
Deutschland haben sich zwischen 2004 und 2010 verdoppelt.
Kreuzfahrtgesellschaften und auch Reedereien profitieren davon mit
satten Umsatz- und Gewinnsteigerungen. Dabei ist der Ferienaufenthalt
auf einem Schiff längst nicht mehr ein elitäres Vergnügen, das sich
ausschließlich zahlungskräftige Kunden leisten können. Das Wachstum
ist zum großen Teil auch auf preiswertere Angebote zurückzuführen.
Die haben mit dem Wachstum der allgemeinen Kreuzfahrtflotte drastisch
zugenommen. Stachen einst nur wenige, vor allem deutsche Luxusliner
in See, ist es inzwischen eine riesige Armada, die auf den Meeren
unterwegs ist - und mit immer neuen Sonderangeboten auf Kundenfang
geht. Auslöser des Booms und gleichzeitig auch Anfang der
Preisspirale nach unten waren einst die Aida-Schiffe, die mit
trendigen und All-inclusive-Angeboten die Robinson-Club-Urlauber auch
auf die Schiffe lockten. Um möglichst preiswert zu sein, müssen
natürlich die Kosten gesenkt werden. Bei Billiganbietern, zu denen
auch Costa zählt, zahlt man oft weit weniger als die Hälfte dessen,
was etwas luxuriösere Reisen kosten. Experten wissen dabei genau, wo
der Rotstift angesetzt wird: Verpflegung, Sicherheit und Personal.
Während Einschränkungen bei der Qualität der täglichen Verpflegung
noch zu verschmerzen sind, hat das beim Thema Sicherheit im Ernstfall
dramatische Konsequenzen. Die Folgen der Havarie der »Costa
Concordia« sind schmerzlicher Beweis dafür. Kapitän, Offiziere und
das offensichtlich schlecht geschulte Personal haben den Ernst der
Lage unterschätzt, den Alarm viel zu spät ausgelöst. Bei der
anschließenden Evakuierung des Schiffs mussten Besatzungsmitglieder
aus dem Bauch des Kreuzfahrers, also Maschinisten und Handwerker
eingreifen, um die Passagiere in die Rettungsboote zu bekommen. Nur
dadurch konnte eine noch weitaus schlimmere Katastrophe verhindert
werden. Unfassbar, dass der Kapitän während dieser Aktion schon an
Land war, statt bis zum Schluss auf der Brücke auszuharren und die
Rettungsmaßnahmen zu koordinieren. Ebenso unfassbar aber auch, dass
der 52-Jährige Zeugenaussagen zufolge nicht der einzige Kapitän war,
der sein Schiff so nahe an die Insel führte. Routenführungen dieser
Art können bei den modernen Navigations- und Ortungssystemen an Bord
auch den Gesellschaften nicht verborgen bleiben. Einhalt geboten
wurde dem gefährlichen Treiben aber nicht. Zu sehr wurde auf
Nervenkitzel gesetzt, um die Attraktivität der Reise zu erhöhen.
Dieser Programmpunkt war schließlich ohne Mehrkosten für die
Reiseanbieter zu erreichen. Bisher. Jetzt musste die Routenführung
teuer bezahlt werden. Es gab Tote. Diese Rechnung kann niemand
begleichen.
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Datum: 16.01.2012 - 21:30 Uhr
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