InternetIntelligenz 2.0 - WESTERWELLE-Interview für ?Die Zeit? (08.07.2010)

InternetIntelligenz 2.0

kostenlos Pressemitteilungen einstellen | veröffentlichen | verteilen

Pressemitteilungen

 

WESTERWELLE-Interview für ?Die Zeit? (08.07.2010)

ID: 224790

WESTERWELLE-Interview für "Die Zeit" (08.07.2010)


(pressrelations) -
Berlin. Der FDP-Bundesvorsitzende und Bundesaußenminister DR. GUIDO WESTERWELLE gab der "Zeit" (aktuelle Ausgabe) das folgende Interview. Die Fragen stellten TINA HILDEBRANDT und BERND ULRICH:

Frage: Herr Westerwelle, seit zwei Jahrzehnten gehören Sie zu Deutschlands maßgeblichen Politikern, elf Jahre haben Sie gekämpft wie ein Löwe, um Ihre Partei an die Macht zu führen. Jetzt haben Sie neun Monate hinter sind, und es ist nicht gut gelaufen. Sind Sie deprimiert?

WESTERWELLE: Es gab Rückschläge und viel Unruhe. Das spiegeln auch die Meinungsumfragen wider. Aber das Wichtigste bleibt: Die Ergebnisse der Politik der Bundesregierung stimmen.

Frage: Sie selbst haben Fehler eingestanden. Was genau waren die Fehler?

WESTERWELLE: Es wäre zum Beispiel klüger gewesen, wenn wir ohne Rücksicht auf die nordrhein-westfälische Landtagswahl in einigen Fragen stärker und schneller ans Werk gegangen wären. Aber dass wir eine gute Wirtschaftsentwicklung und sehr gute Entwicklungen auf dem Arbeitsmarkt haben, hat auch sehr viel mit unserem Wachstumsbeschleunigungsgesetz zu tun. Die Bürger haben mehr Kaufkraft bekommen, insbesondere die Familien durch die Erhöhung des Kindergeldes und der Kinderfreibeträge. Der Mittelstand wurde gestärkt.

Frage: Würden Sie die "spätrömische Dekadenz" zu den Fehlern rechnen?
WESTERWELLE: Das wird gerne aus dem Zusammenhang gerissen. Ich habe ausdrücklich nicht die Menschen mit einem schweren Schicksal kritisiert, sondern die Sozialstaatsbürokratie und ihre mangelnde Treffsicherheit. Vor allen Dingen habe ich gemahnt, dass man zu wenig an die Mittelschicht denkt, sprich: an diejenigen, die ganz überwiegend erwirtschaften, was ein guter und vernünftiger Sozialstaat braucht.

Frage: Es war also kein Fehler, dass Sie diese Diskussion ausgelöst haben?

WESTERWELLE: Einige, auch Ihre Zeitung, haben da sehr mit Verdrehungen gearbeitet.

Frage: Wir haben also die Fehler gemacht, nicht Sie?





WESTERWELLE: Drei unserer Maßnahmen, den Sozialstaat betreffend, widerlegen all die Klischees, die verbreitet worden sind: Erstens haben wir das Schonvermögen für Hartz-IV-Empfänger verdreifacht, damit derjenige, der für das Alter vorgesorgt hat, im Falle eines Schicksalschlages nicht alles abgeben muss, sondern etwas behalten kann. Das ist Leistungsgerechtigkeit. Zweitens müssen Kinder aus Hartz-IV-Familien, wenn sie in den Ferien arbeiten, den Lohn dafür nicht mit den Hartz-IV-Bezügen der Eltern verrechnen. Das zeigt gerade jungen Menschen, dass sich ihre Leistung lohnt. Drittens haben wir dafür gesorgt, dass der Staat künftig jedem unter 25-jährigen Arbeitsuchenden innerhalb von sechs Wochen ein Angebot machen muss, sei es in Form ordentlicher Arbeit, sei es in Form von Weiterbildung. Eine umfassende Debatte auf ein Schlagwort zu verkürzen und dieses dann aus dem Zusammenhang zu reißen, das akzeptiere ich nicht.

Frage: In Ihrer Partei und auch der CDU gab es die Befürchtung, dass Sie die populistische Karte ziehen.

WESTERWELLE: Ich glaube, dass sich die Politik endlich wieder weniger mit den Problemen der Politik und mehr mit den Problemen der Menschen beschäftigen sollte. Dafür sind wir gewählt. Zum Beispiel darf die sozialpolitische Komponente von Bildungspolitik in öffentlichen Diskussionen nicht länger ignoriert werden. Das ist mir sehr wichtig. Deswegen investiert die Bundesregierung trotz aller Sparnotwendigkeit in Bildung, Forschung und Wissenschaft so viel wie noch keine andere zuvor.

Frage: "Dekadenz" war Ihre Diagnose. Ist Deutschland ein Land im Niedergang?

WESTERWELLE: Die Fragestellung zeigt, wie sehr Sie sich die Verdrehung eines Diskussionsbeitrages zu Eigen gemacht haben.

Frage: Das war Ihr Wort!

WESTERWELLE: Vielleicht lesen Sie das Ganze noch einmal nach. Ich habe mich abschließend dazu geäußert und nicht die Absicht, auf diese Verdrehung durch Verkürzung weiter einzugehen. Ich bin sehr dankbar, dass ich in diesem Land leben darf. Ich glaube, es ist ein großartiges Land. Genau deshalb, damit es so bleibt, muss der Zusammenhang zwischen der Treffsicherheit unseres Sozialstaates und der sozialen Gerechtigkeit gesehen werden.

Frage: Sie haben eine Linie zwischen den Daten 1949, 1969, 1989 und 2009 gezogen und damit große Erwartungen geschürt. Würden Sie heute noch sagen, dass das Wahljahr der Koalition eine epochale Bedeutung hat?

WESTERWELLE: Das sollte man im Nachhinein bewerten. Ich bin unverändert überzeugt, dass wir den Anspruch haben müssen, als neue bürgerliche Regierung einen Politikwechsel einzuleiten. So kürzen wir in den nächsten vier Jahren die Staatsausgaben um mehr als 100 Milliarden Euro gegenüber dem, was vom letzten sozialdemokratischen Finanzminister geplant war.

Frage: Sie wollen eine "geistig-politische Wende". Wie war das gemeint?

WESTERWELLE: Wir müssen in Deutschland die Politik stärker auf die Zukunftsgestaltung ausrichten als auf eine Verwaltung von Gegenwartsproblemen. Das ist der eigentliche Anspruch ? neben der Philosophie des Liberalismus, dass Freiheit vor Gleichheit kommt, dass man alles, was man verteilen möchte, erst erwirtschaften muss und dass privat vor Staat kommt, ausdrücklich und zuallererst bei den Bürgerrechten. Ich habe nicht mit erhobenem moralischen Zeigefinger gesprochen, sondern davon, dass sich die geistige Haltung unseres Landes in politischen Fragen verändern muss ? zum Beispiel wenn es um Zukunftstechnologien geht. In Deutschland werden sehr viele neue Technologien als Risiko und nicht als Chance diskutiert. Das wollen wir ändern.

Frage: Braucht die FDP eine geistig-politische Wende?

WESTERWELLE: Ich bin sicher, dass die Umfragen für die FDP wieder besser werden, wenn die Bundesregierung gemeinsam gute Ergebnisse abliefert und diese in den Vordergrund stellt. In diesen Tagen ist ja die Alternative sichtbar geworden: Rot-Grün beklagt sich darüber, dass die Linkspartei mit ihr in der Bundesversammlung keine Koalition eingehen wollte. Gleichzeitig wird in Nordrhein-Westfalen eine Linksregierung vorbereitet.

Frage: Die FDP muss sich also nicht ändern?

WESTERWELLE: Eines hat mich meine politische Erfahrung gelehrt: Man darf in schwierigen Phasen nicht der Versuchung erliegen, selbstgrüblerisch den wahren Problemen auszuweichen. Gerade dann muss man auf das setzen, was die Bürger erwarten: nämlich dass man richtige Politik für die Zukunft macht. Es gibt Stunden der Analyse, des Rückblicks, der Selbstkritik. Jetzt schauen wir nach vorne.

Frage: Diese Regierung hat kein Substanz- sondern ein Geräuschproblem. Sie haben immer wieder gesagt, dass Sie Fehler abstellen wollen. Und dann haben Sie als Koalition Ihre eigene Politik durch das Geräusch, das diese Regierung fortlaufend erzeugt, zunichte gemacht.

WESTERWELLE: Ich möchte dafür sorgen, dass die Bürgerinnen und Bürger, die dieses Interview lesen, erkennen, dass wir verstanden haben und nach vorne schauen uns um ihre Probleme kümmern. Wir beschäftigen uns nicht mit dem, was in der Politik wichtig genommen wird, sondern damit, was für die Menschen wirklich wichtig ist.

Frage: Beunruhigt es Sie, dass der Liberalismus die Menschen derzeit weltweit so wenig anzieht?

WESTERWELLE: Er hat sehr große Zugkraft, wie wir auch bei den Bundestagswahlen erlebt haben. In Deutschland hat die FDP das beste Ergebnis jemals errungen. In Großbritannien haben die Liberalen es zum ersten Mal seit Jahrzehnten geschafft, Mitglied einer Koalitionsregierung zu sein. In Polen hat sich der neue Präsident Komorowski mit einer liberalen, pro-europäischen Grundhaltung durchgesetzt. Das wiegt umso mehr, weil andererseits auch der Etatismus, die Staatsgläubigkeit, durch die Wirtschafts- und Finanzkrise sehr viel Rückenwind bekommen hat.

Frage: In den Niederlanden, in Österreich und in der Schweiz merkt man eine erschütternde Verführbarkeit liberalen Denkens für populistische Affekte. Wie erklären Sie sich das?

WESTERWELLE: Ich kann das nicht erkennen, gerade in den Niederlanden nicht. Die VVD hat, im Kontrast zu einem anderen Bewerber, die jüngste Wahl in den Niederlanden als stärkste Partei gewonnen.

Frage: Geert Wilders beruft sich nicht auf liberale Denkweisen?

WESTERWELLE: Es haben sich schon sehr viele auf liberale Denkweisen berufen. Aber das heißt noch lange nicht, dass das zutreffend war. Populismus ist in jeder Demokratie eine Gefahr. Wenn ich sehe, welche antieuropäischen Thesen die Linkspartei vertritt, muss man gerade dort den Populismus verorten.

Frage: Die Verführbarkeit der FDP, die es in der letzten Phase unter Jürgen Möllemann gegeben hat, ist endgültig überwunden?

WESTERWELLE: Für mich ist diese Frage schon aus Pietätsgründen sehr schwer zu beantworten; bekanntermaßen ist Jürgen Möllemann vor sieben Jahren verstorben. Aber die These, Liberale seien besonders verführbar für Populismus, ist in meinen Augen komplett falsch. Die liberale Idee setzt sehr stark auf Vernunft und das ist unbequem. Freiheit zu fordern, ist das eine. Dazu kommt immer auch Verantwortung für den Einzelnen, und das macht aus dem Liberalismus wahrscheinlich die unbequemste Geisteshaltung, die es im politischen Spektrum gibt.

Frage: Jetzt hätten Sie fast "Ideologie" gesagt.

WESTERWELLE: Nein. Ich habe nie die Meinung vertreten, dass der Liberalismus eine Ideologie ist, sondern halte ihn für eine freiheitliche Idee. Im Zweifel entscheiden Liberale sich nicht nur für die Freiheit, sondern gehen glücklicherweise sehr pragmatisch an Probleme heran. Pragmatismus gehört zum Liberalismus dazu.

Frage: ?außer, es geht um die Steuern.

WESTERWELLE: Worauf wollen Sie hinaus?

Frage: Es war doch ein Kuriosum, dass ausgerechnet Ihre Klientel, gebildet, wirtschaftlich erfolgreich und sachverständig, am längsten daran festgehalten haben, dass man die Steuern auf breiter Front senken kann. Das war nicht sehr pragmatisch.

WESTERWELLE: Ich finde es verwunderlich und gelegentlich sehr beunruhigend, dass es so viele gibt, für die Steuererhöhungen viel leichter, viel angenehmer, viel positiver sind als Ausgabeneinsparungen zugunsten neuer finanzieller Spielräume zum Beispiel für Familien. Es ist nicht akzeptabel, wenn Familiengründung ein Armutsrisiko ist. Deswegen bleibt es richtig, die Entlastung der Familien und der Mittelschicht nicht nur beim Thema Steuern, sondern insgesamt weiter zu verfolgen. Wir müssen aber eine große Euro-Krise bewältigen, die noch einmal die besondere Dringlichkeit der Haushaltskonsolidierung deutlich gemacht hat. Deswegen ist die Idee, die wir steuerpolitisch vertreten, zeitlich gestreckt worden. Sie bleibt aber richtig. Steuerfairness gehört zu unserem Gesellschaftsbild.

Frage: In Ihrer Partei ist die Frage aufgekommen, ob Sie genug Zeit haben für beide Ämter: Parteichef und Außenminister. Wie wollen Sie damit umgehen?

WESTERWELLE: Die Schnittmengen zwischen Innen- und Außenpolitik sind sehr viel größer, als gelegentlich angenommen wird. Die Bemühung, unsere Währung zu stabilisieren, ist ein gutes Beispiel dafür.

Frage: Was ist eigentlich beim Thema Afghanistan das kommunikative Hauptziel: Zustimmung für einen ungeliebten Einsatz gewinnen oder vermitteln, dass wir so schnell wie möglich abziehen?

WESTERWELLE: Ich bin gar nicht unglücklich darüber, dass die deutsche Bevölkerung bei Auslandseinsätzen eine gesunde Grundskepsis hat. Denn gleichzeitig hat sie bei der Bundestagswahl den drei größten Parteien, die den Afghanistan-Einsatz klar befürworten, zusammen etwa 75 Prozent der Stimmen gegeben. Unsere Aufgabe ist es, die Notwendigkeit des Einsatzes auch dann zu vermitteln, wenn es wieder furchtbare Anschläge gegeben hat. Gleichzeitig muss die Politik immer wieder deutlich machen, dass dieser Einsatz nicht auf Dauer stattfinden soll. Wir wollen in den nächsten drei Jahren die Abzugsperspektive erarbeiten. Das beginnt jetzt regional, vielleicht noch dieses, sicherlich nächstes Jahr. 2014 soll Afghanistan so weit sein, dass die afghanische Regierung die Sicherheitsverantwortung in vollem Umfang übernehmen kann. Das heißt aber nicht, dass dann alle Soldaten draußen und Entwicklungshilfe, Infrastruktur- und Aufbauhilfe nicht mehr nötig wären.

Frage: Beim Überfall auf den Hilfskonvoi für Gaza war uns Deutschen gleich klar: Das geht uns an, weil es um Israel geht. Das galt nicht in gleichem Maße, weil es auch um die Türkei ging. Wie kommt das?

WESTERWELLE: Die internationale Rolle der Türkei muss man ganz unabhängig von diesem konkreten Fall genau betrachten. Ob es um Iran, Nahost oder andere globale Fragen geht ? die Türkei hat sich eine einflussreiche Stellung in der Welt erobert. Insofern wird bei uns zu kurzatmig diskutiert, wenn man die Debatte auf eine mögliche Mitgliedschaft der Türkei in der Europäischen Union beschränkt. Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass sich die globale Statik derzeit dramatisch verändert. Länder wie die Türkei gewinnen neben den aufstrebenden Staaten Asiens und Lateinamerikas wirtschaftlich und auch politisch an Gewicht. Wir Deutsche müssen uns sehr viel stärker um die Türkei kümmern, außen- wie wirtschaftspolitisch, auch weil wir eine sehr starke türkische Gemeinde in Deutschland haben.

Frage: Bekommen Sie Ihren Koalitionspartner irgendwann von der "privilegierten Partnerschaft" runter?

WESTERWELLE: Das Wort ist doch lange nicht mehr gefallen, auch nicht in anderen europäischen Regierungen, die es gelegentlich bemüht haben. Ich hoffe, alle merken, dass wir nüchtern diskutieren und keine Fragen vorwegnehmen sollten, die sich erst in einigen Jahren stellen.


FDP-Bundespartei
Pressestelle
Reinhardtstraße 14
10117 Berlin
Telefon: 030 - 28 49 58 43
Fax: 030 - 28 49 58 42
E-Mail: presse(at)fdp.de

Weitere Infos zu diesem Fachartikel:

Themen in diesem Fachartikel:


Unternehmensinformation / Kurzprofil:



Leseranfragen:



PresseKontakt / Agentur:



drucken  als PDF  an Freund senden  Bad Hindelang ist der Star: Feriendorf bietet Kulisse für Spielfilm Jessica Schwarzüber Sex-Szenen:
Bereitgestellt von Benutzer: pressrelations
Datum: 08.07.2010 - 13:17 Uhr
Sprache: Deutsch
News-ID 224790
Anzahl Zeichen: 0

pressrelations.de – ihr Partner für die Veröffentlichung von Pressemitteilungen und Presseterminen, Medienbeobachtung und Medienresonanzanalysen


Dieser Fachartikel wurde bisher 87 mal aufgerufen.


Der Fachartikel mit dem Titel:
"WESTERWELLE-Interview für ?Die Zeit? (08.07.2010)"
steht unter der journalistisch-redaktionellen Verantwortung von

FDP (Nachricht senden)

Beachten Sie bitte die weiteren Informationen zum Haftungsauschluß (gemäß TMG - TeleMedianGesetz) und dem Datenschutz (gemäß der DSGVO).


Alle Meldungen von FDP



 

Wer ist Online

Alle Mitglieder: 50.218
Registriert Heute: 0
Registriert Gestern: 0
Mitglied(er) online: 0
Gäste Online: 421


Bitte registrieren Sie sich hier. Als angemeldeter Benutzer nutzen Sie den vollen Funktionsumfang dieser Seite.