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Rede des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel bei der bei der Wirtschaftspolitischen Konferenz

ID: 191777

Rede des SPD-Vorsitzenden Sigmar Gabriel bei der bei der Wirtschaftspolitischen Konferenz


(pressrelations) -
Rede

des Vorsitzenden der Sozialdemokratischen Partei Deutschlands

Sigmar Gabriel

bei der Wirtschaftspolitischen Konferenz der SPD "Antworten auf die Krise ? Leitideen einer neuen Wirtschaftspolitik"

am Mittwoch, dem 21. April 2010,
im Willy-Brandt-Haus in Berlin.

- Es gilt das gesprochene Wort ?

Sehr geehrte Damen und Herren,

herzlich willkommen zu unserer Konferenz "Antworten auf die Krise ? Leitideen einer neuen Wirtschaftspolitik". Ich freue mich wirklich, dass so viele gekommen sind, und bitte um Nachsicht, dass es etwas eng ist. Aber es ist wohl auch ein Zeichen dafür, dass es Bedarf gibt zur Diskussion über unser Thema.

Wie wollen wir künftig leben? Was muss sich in Deutschland ändern, damit es fairer zugeht? Wie kann es gelingen zu regulieren, zu konsolidieren, zu investieren, nicht zu inflationieren und gleichzeitig Beschäftigungsbrücken über das Jahr 2011 hinaus zu bauen? Das sind nur einige der Fragen, auf die wir Antworten suchen.
Gerhard Schröder hat einmal gesagt, es gäbe keine rechte oder linke Wirtschaftspolitik, nur eine richtige Wirtschaftspolitik.

Ich bin der Überzeugung: nur eine Wirtschaftspolitik, die danach strebt, die Freiheits- und Lebensperspektiven aller Menschen zu erweitern ? und nicht nur die von wenigen - , deren Wachstumsziele weder auf Spekulation noch auf Ausbeutung von Mensch und Natur beruhen, ist eine richtige Wirtschaftspolitik. Und genau diese emanzipatorische Bindung wirtschaftspolitischer Ziele und Maßnahmen aber ist links.

Es geht also nicht um die Entwicklung einer scheinbar "objektiven" Wirtschaftspolitik. Diese Scheinneutralität ist nichts anderes als die ideologische Verschleierung für beinharte wirtschaftliche Interessen ? in der Regel weniger.

Sondern es geht um eine ausdrücklich parteiübergreifende wirtschaftspolitische Diskussion. Der SPD-Fraktionsvorsitzende im Deutschen Bundestag, Frank-Walter Steinmeier, hat es in einem gerade erschienen Beitrag in der FTD wie folgt formuliert:




"Wie müssen die Ziele und Maßstäbe unseres Wirtschaftens neu definieren. Es gilt, nachhaltige Lebensqualität und gesellschaftlichen Fortschritt in den Mittelpunkt zu rücken. (?) Der Zustand der Natur, das Niveau von Gesundheit und Bildung, Sicherheit, politische Teilhabe und Zugang zu Arbeit, aber auch die Verfügbarkeit von freier Zeit ? all das erfasst das Bruttoinlandsprodukt nicht. Auch über die Verteilung von Wohlstand und Lebenschancen gibt das BIP keine Auskunft."

Natürlich ist diese Erkenntnis nicht neu. Spätestens seit den ersten Berichten des Club of Rome Anfang der 70er Jahre wird vor den Folgen des auf das BIP verengten Wachstumsbegriffs gewarnt. Und doch hat die weltweite Fokussierung darauf in den letzten 40 Jahren eher zu- als abgenommen.

Worum es geht ist die Formulierung einer konkreten Alternative, die weder Verzicht und Deindustrialisierung predigt noch vom Ende der Arbeitsgesellschaft schwadroniert. Eine Alternative, die auf soziales und ökologisches Wachstum setzt.

Eine Alternative, die Menschen reale Aussicht auf Aufstieg, Teilhabe und Selbstbestimmung gibt, die Hoffnung macht und auch Begeisterung schafft und sich bei all dem nicht national verengt.

Das ist für uns gesellschaftlicher Fortschritt und die Sozialdemokratie in Deutschland - aber nach meiner festen Überzeugung auch in ganz Europa ? muss als Partei der Arbeit und der Fairness wieder Trägerin dieses Fortschrittsgedankens werden.

Wir möchten Sie und viele andere dazu einladen, mit uns über diesen zugleich neuen und alten Fortschrittsbegriff und über diese neue Wirtschaftspolitik zu diskutieren. Heute aber auch durch Beiträge in den Folgeveranstaltungen in den kommenden Wochen und Monaten oder über unser Internetforum.
Wir haben uns vorgenommen, diese Debatte zum Bundesparteitag der SPD 2011 mit einem neuen wirtschaftspolitischen Programm abzuschließen.

Beginnen wollen und müssen wir aber heute natürlich mit der aktuellen Lage. Die SPD muss auch Antworten auf die aktuellen Krisenentwicklungen haben, denn viele Menschen sind davon betroffen und bedroht. Es ist dabei allerdings entscheidend, dass wir mit allem, was wir als aktuelle Krisenantwort formulieren, diese Neuorientierung der Wirtschaftspolitik nicht konterkarieren.

Dazu liegt heute ein Diskussionspapier unter der Überschrift "Mit neuen Investitionsimpulsen aus der Krise" vor. Wir bitten Sie uns zu sagen oder zu schreiben, was Sie davon richtig finden, was falsch oder fehlerhaft, wo Sie Lücken sehen oder Alternativen vorschlagen.

Es ist aus unserer Sicht dringend notwendig, in Deutschland über die aktuelle wirtschaftliche Lage zu diskutieren. Denn diese aktuelle Lage gibt keineswegs Anlass beruhigt zu sein:

Wir sollten uns von den zaghaften konjunkturellen Frühlingsboten nicht irritieren lassen.
Wer jetzt bereits glaubt, die Krise sei vorbei, verkennt Tiefe und Bedeutung der globalen Wirtschafts- und Finanzkrise für die Grundlinien deutscher wie europäischer Wirtschaftspolitik. Es gibt nach wie vor keinen selbsttragenden Aufschwung.
Konjunkturforscher sprechen von Stagnation und von einer insgesamt fragilen, störungsanfälligen Lage:

? Das DIW prognostiziert erst ab 2012 ein Wiedererreichen des Vorkrisenniveaus, was in der Summe mehr als drei Jahren Nullwachstum entspricht.
? Das KfW-ifo-Mittelstandsbarometer (8.03.2010) verzeichnet eine Verschlechterung des mittelständischen Geschäftsklimas und verweist auf eine schwache und störungsanfällige Entwicklung.
? Das ifw Kiel spricht von einer schwachen konjunkturellen Grundtendenz ohne Aussicht, den Produktionseinbruch in kürzerer Zeit wettzumachen.
? Das RWI (17.03.2010) sieht die Erholung ins Stocken geraten, erwartet eine zögerliche Belebung mit hohen Defizitquoten des Staates.
? Der OECD-Deutschlandbericht (März 2010) sieht die Tragfähigkeit der deutschen Staatsfinanzen in Gefahr, rechnet erst auf mittlere Sicht damit, dass das Produktionsniveau vor der Krise erreicht wird und dass die Arbeitslosigkeit der Tendenz nach steigt.
? Das HWWI (3.03.2010) sieht bisherige Stabilisierungstendenzen vor allem durch staatliche Konjunkturprogramme getragen.
? Deutsche Bank Research (25.03.2010) sagt voraus, dass, wenn die expansiven Effekte der Fiskalpolitik Ende 2010 auslaufen, auch das Wachstum des BIP wieder nachlässt und 2011 unter den Wert des Vorjahres zurückgeht.

Angesichts dieser Szenarien ist die Tatenlosigkeit der Bundesregierung schier unglaublich.
Immerhin: Sie hat es jetzt nach sechs Monaten (!) geschafft, die vom SPD-Arbeitsminister Olaf Scholz mit großem Erfolg eingeführte Kurzarbeiterregelung zu verlängern. Dass das keine Selbstverständlichkeit in der Bundesregierung war, zeigt einmal mehr, dass auch in der Wirtschaftspolitik keinerlei gemeinsame Vorstellungen existieren.

Die Bundeskanzlerin, die die Lage ebenso gut kennt, wie die zitierten Institute, benimmt sich wie der berühmte Vogel Strauß: Sie steckt den Kopf in den Sand. Offenbar in der Hoffnung, dass von irgendwo her der Aufschwung schon kommen wird.
Und was den Wirtschaftsminister angeht, so wäre die Rückkehr von Michel Glos wohl ein Quantensprung für wirtschaftliche Kompetenz in diesem Ministerium.

Die Tatenlosigkeit der Bundesregierung macht aus der größten Volkswirtschaft Europas einen Totalausfall bei der Wiederbelebung von Wirtschaft und Konjunktur.
Mehr noch: sie ist gefährlich und entspricht der Mentalität von wirtschaftspolitischen Hasardeuren:

Weder werden ernsthafte Anstrengungen zur europäischen Regulierung der Finanzmärkte und des Bankensektors unternommen, um eine Wiederholung und Verschärfung der Wirtschafts- und Finanzkrise zu verhindern noch werden Instrumente entwickelt, mit denen Deutschland als größte europäische Volkswirtschaft mithilft, Wachstum und Beschäftigung zu sichern.

Statt dessen ergeht sich die Kanzlerin in Ersatzhandlungen: Mitten in der Krise des Euroraums stilisiert sie sich zur "eisernen Kanzlerin" und tut so, als könne sich ausgerechnet Deutschland leisten, der Solidarität für Griechenland zu entziehen. Nicht wirtschaftspolitische Vernunft, sondern die Titelseiten des Boulevard sind der Kompass der Kanzlerin. Dafür wird dann auch schon mal der eigene Finanzminister öffentlich blamiert.

Und am Ende: Natürlich wird Deutschland finanzielle Hilfen für Griechenland bereitstellen, denn wir profitieren am meisten von einem stabilen Euroraum und wir sind am verwundbarsten bei dauerhafter Instabilität. Und natürlich hat Frau Merkel dem zugestimmt. Aus der "eisernen Kanzlerin" wurde klammheimlich wieder die geschmeidige Taktiererin.

Dem außenpolitischen Klamauk im Falle Griechenlands steht innenpolitische Handlungsunfähigkeit gegenüber. Die Gründe dafür liegen auf der Hand:

Die existierenden und denkbaren finanziellen Handlungsspielräume Deutschlands wurden und werden den im Koalitionsvertrag vereinbarten Klientelwünschen von CDU, CSU und FDP geopfert: Das sogenannte "Wachstumsbeschleunigungsgesetz" entfaltet keinerlei Wirkung, entzieht dafür aber einer aktiven Investitionspolitik für Wachstum und Beschäftigung mehrere Milliarden Euro.

Und damit nicht genug: Die geplanten Senkungen der Einkommenssteuer von mindestens 16 Milliarden Euro verfehlen jede konjunkturelle Wirkung: sie erreichen gerade nicht die Haushalte, die durch ein höheres verfügbares Einkommen die Binnennachfrage positiv beeinflussen würden. Statt dessen soll die Einkommenssteuer für die oberen Gehaltsgruppen dramatisch abgesenkt werden, was lediglich zur Erhöhung der Sparquote führen wird.

Im Ergebnis kommt es weder zu Wachstums- und Beschäftigungsimpulsen noch zu einer Verringerung der öffentlichen Verschuldung. Im Gegenteil: Die noch existierenden konjunkturellen Impulse durch öffentliche Investitionen werden drastisch reduziert. Vor allem die kommunalen Investitionsmöglichkeiten ? 60 Prozent der öffentlichen Investitionen tätigen die Städte und Gemeinden in Deutschland ? werden durch die entstehenden Steuerausfälle praktisch vollständig zum Erliegen kommen. Eine steigende
Arbeitslosigkeit insbesondere im Handwerk und im Handel sind die Folge.

Die Bundesregierung verschärft mit dieser Politik aber nicht nur die Arbeitslosigkeit. Sie führt Deutschland zugleich in eine doppelte Falle: Entweder wird die bereits existierende Verschuldung ungebremst weiter erhöht oder die notwendigen Einsparungen tragen zusätzlich zum Abwürgen des erst langsam wieder anlaufenden Konjunkturmotors bei, denn die bereits vorgelegten Planungen zur "Gegenfinanzierung" der sozial ungerechten und wirtschaftlich unsinnigen Steuergeschenke sollen die Steuern und
Abgaben der Bürgerinnen und Bürger nach der Landtagswahl in NRW am 9. Mai ebenso drastisch angehoben werden: die Besteuerung der Nacht- und Schichtarbeit, die Anhebung aller Gebührenhaushalte z.B. für Abwasser- und Abwasserbeseitigung oder die geplanten Anhebungen der Beiträge zur Arbeitslosenversicherung und zur Krankenversicherung.

Was hier vorbereitet wird, ist eine dreiste Nettolüge: Haushalte, die über höhere Einkommen verfügen, werden entlastet ? Haushalte, die über mittlere und niedrige Einkommen verfügen, werden belastet.
Das ist ein Rückfall in die ideologisch motiviere Umverteilungspolitik von unten nach oben aus den 80er Jahren der CDU/CSU/FDP-Bundesregierungen.

Aber nicht nur das: Zur notwendigen Konsolidierung aufgrund milliardenschwerer Konjunkturprogramme werden sowohl die aktive Arbeitsmarktpolitik des Bundes beschnitten werden müssen wie die Bildungshaushalte der Länder. Gerade dort, wo in den kommenden Jahren Mehrausgaben dringend erforderlich wären ? bei Bildung und Qualifizierung ? werden den Ländern weniger Mittel zur Verfügung stehen. 16 Milliarden weniger Steuereinnahmen bedeuten jedes Jahr 2,4 Milliarden Euro weniger für die Kommunen. Um das
einzusparen, müssten rund 240.000 Kita-Plätze wegfallen. Den Ländern drohen Einnahmeausfälle von 6,8 Milliarden Euro ? das entspricht 112.000 Lehrerstellen.

CDU/CSU und FDP führen Deutschland in eine Abwärtsspirale und die Bundeskanzlerin schaut tatenlos zu!
Sie hat keinen Plan, wie die deutsche Wirtschaft nach der Krise aussehen soll und wie jetzt die Weichen in diese Zukunft zu stellen sind. Sie wartet, dass der Aufschwung auf kurz oder lang schon irgendwie wieder einsetzen wird und damit all die Diskussionen um Verschuldung, Wachstumsstrategien und Finanzmarktregulierung vergessen macht.

Damit besteht also die Gefahr eines ernsten konjunkturellen Rückschlags. Die Auftragseingänge im Januar/Februar 2010 lagen rund 20 % unter dem Niveau von Januar/Februar 2008.
Die neuesten Arbeitsmarktzahlen zeigen beunruhigende Entwicklungen: Über 50 % der Neueinstellungen erfolgen in prekären Beschäftigungsverhältnissen. Der Effekt der Kurzarbeit hält nicht dauerhaft.
Beigetragen zum Ausbruch und zum Ausmaß der Krise hat auch die Tatsache, dass wir keine "richtige Wirtschaftspolitik" gemacht haben.

So können wir selbst im Handelsblatt lesen: Die Volkswirtschaft muss sich durch die "Trümmer ihrer Theorien" wühlen . Die Krise hat zwei zentrale Schwachstellen der Wirtschaftspolitik ? und der sie beratenden Makroökonomen ? offengelegt: zum einen die Annahme von der inhärenten Stabilität der Volkswirtschaften, welche zu dem Dogma führte, dass staatliche Eingriffe mehr Schaden als Nutzen bringen. Gleiches gilt für zahlreiche politikwissenschaftliche Governance-Theorien, welche ebenfalls
glaubten, Möglichkeiten der entstaatlichten Selbstregulierung gefunden zu haben.
Die Regulatoren und Juristen nahmen diese intellektuelle Grundaufbereitung gerne auf, um immer neue Finanzmarktförderungsgesetze mit immer weniger staatlicher Kontrolle auf den Weg zu bringen.
Ein weiteres großes Versäumnis war das Ausblenden der Rolle des Finanzsektors als eigenständigem Akteur mit eigenen Regeln. Die Rolle der gesamtwirtschaftlichen Kreditentwicklung spielte für Regulatoren und Ökonomen keine Rolle.
Schlussendlich hat die Krise gezeigt, dass die Annahme vom rationalen Verhalten von Verbrauchern und Unternehmen und einer darauf aufbauenden Regulierung falsch ist.
Die Krise und auch der Erfolg von Konjunkturprogrammen zeigt vielmehr die Notwendigkeit einer Renaissance gesamtwirtschaftlichen Denkens. Es war schon beeindruckend, wie im Herbst 2009 zunächst eine große Ratlosigkeit herrschte, weil es keinerlei Pläne und Vorstellungen gab, wie man mit solch einer Krise gesamtwirtschaftlich umgehen sollte. Vor lauter Mikrofundierung von Politik, Regulatoren und Volkswirtschaft hatten wir das Denken in größeren Zusammenhängen vergessen.

Zu schön war der Traum von einer Finanzindustrie, die märchenhaften Reichtum völlig losgelöst von der Realwirtschaft produziert.
Zu groß die Angst, im Deregulierungswettlauf um den "attraktivsten Finanzplatz" in Hintertreffen zu geraten.

Ich glaube aber auch, dass wir ? um mit dem Nobelpreisträger Joseph Stiglitz zu sprechen ? nicht nur eine wirtschaftliche und politische Erneuerung brauchen, sondern auch ein moralische. Stiglitz argumentiert etwas provokant, dass "wir jungen Menschen nicht die richtigen Anreize [geben], wenn man als Banker mit dem Verkauf von schlechten Finanzprodukten ein Vielfaches von dem verdient, was Wissenschaftler, Ärzte oder Lehrer für Arbeit von viel höherem gesellschaftlichem Nutzen bekommen". Besser
könnte es ein Sozialdemokrat nicht ausdrücken.

Dabei gibt es in Deutschland exzellente Beispiele dafür, wie Wachstum und Beschäftigung einerseits und Nachhaltigkeit und Umweltschutz andererseits durch mutige politische Entscheidungen erfolgreich miteinander verbunden werden können:
Bereits 1998 haben SPD und Grüne mit dem Erneuerbare Energiengesetz gezeigt, wie man in kurzer Zeit 300.000 neue und qualifizierte Arbeitsplätze schaffen kann. Die selbsternannten schwarzgelben Wirtschaftsexperten haben uns damals für verrückt erklärt.

Solche Entwicklungen haben wir vor Augen, wenn wir in unserem vorgelegten Diskussionspapier dazu auffordern, vorhandene Spielräume zu für Investitionen in Arbeit und Wachstum zu eröffnen und zu nutzen.

Finanzielle Spielräume nutzen statt verschleudern

Klar ist: es existieren finanzielle Spielräume für eine aktive Krisenbekämpfung, die nicht zu höherer Verschuldung beitragen. Die Bundesregierung allerdings verschleudert diese Spielräume, wir wollen sie nutzen. Dazu gehört der Verzicht auf kontraproduktive allgemeine Steuersenkungen. Dazu gehört aber auch, den Staat in die Lage zu versetzen, die anstehenden Herausforderungen zu meistern:
Strukturelle Haushaltskonsolidierung und angemessene Investitionsförderung. Beispiele dafür sind:

? Die Streichung der geplanten öffentlichen Finanzierung aus dem Bundeshaushalt in Höhe von mindestens 10 Mrd EURO für die Sanierung der maroden Atommüllendlager Asse II und Morsleben.
? Darüber hinaus wollen wir die Atomindustrie stärker an den Kosten ihrer Hochrisikotechnologie beteiligen, einschließlich Streichung der Steuerfreiheit der Rücklagen für die atomare Entsorgung (geschätzte Mehreinnahmen: 2 Mrd Euro/Jahr).
? Abbau ökologisch schädlicher Subventionen in Höhe von 5 Mrd EURO pro Jahr. Das Umweltbundesamt hat eine Liste mit Subventionen in Höhe von 40 Mrd. Euro zusammengestellt ? 5 Mrd. Euro sind etwas mehr als 10 %. Das ist zu schaffen.
? Kürzung weiterer nicht-investiven Subventionen im Bundeshaushalt.
? Solange wir keine europäische oder internationale Finanztransaktionssteuer haben, werden wir über eine Börsenumsatzbesteuerung 3 Mrd. Euro einnehmen.
? Mit der Einführung eines "Bildungssolis" durch: Erhöhung des "Balkons" (Reichensteuer) erzielen wir mindestens 3 Mrd. Euro, mit denen wir den Einstieg in die Erhöhung der Ausgaben für die Bildungsfinanzierung starten.
? Mit der Rücknahme der nicht die Familien betreffenden Teile des "Wachstumsbeschleunigungsgesetzes" (Mehrwertsteuer, Erbschaftsteuer, Unternehmensbesteuerung) lassen sich 3,8 Mrd. Euro erzielen.

Allein diese Beispiele erbringen bis zu 25 Mrd. Euro pro Jahr. Damit schaffen wir Handlungsspielräume für die Investitionsförderung und die Konsolidierung. Wir schaffen Handlungsspielräume, um die Arbeit von Morgen zu sichern.

Konkret schlagen wir fünf Maßnahmenbündel vor, die in erster Linie Investitionen fördern, und damit Arbeitsplätze sichern und neue schaffen:

1. Finanzmärkte wirksam regulieren!

Über anderthalb Jahre ist der Zusammenbruch der Bank Lehman Brothers vergangen, doch die notwendigen entscheidenden Veränderungen auf den internationalen Finanzmärkten hat es noch nicht gegeben. Das Casino hat bereits wieder geöffnet und wird mit öffentlichen Mitteln, die eigentlich zur Überwindung der Krise bereitgestellt wurden, erneut befeuert. Die jüngsten Enthüllungen bei Goldman Sachs zeigen, zu welchen Auswüchsen Regellosigkeit und Intransparenz auf den Finanzmärkten führen können.

Mit dem SPD-Finanzminister Peer Steinbrück hatte Deutschland den Ton angegeben und weitreichende Vorschläge zur Finanzmarktregulierung gemacht. Unter Schwarz-Gelb dagegen ist Deutschland zum Zaungast geworden.

Wenn die Bundesregierung sich weiterhin weigert zum Motor einer wirksamen Finanzmarktregulierung in Europa zu werden, wird die SPD gemeinsam mit anderen europäischen sozialdemokratischen Parteien das neue Instrument der Europäischen Bürgerinitiative nutzen, um die dringend notwendigen Regulierungen voran zu bringen.

2. Investitionen fördern ? Arbeitsplätze sicher und schaffen.

Um das zentrale wirtschaftliche Problem Deutschlands ? die zu niedrige Investitionsquote ? ist die gezielte und zeitlich befristete Förderung und Unterstützung von privaten Investitionen insbesondere in kleineren und mittelständischen Unternehmen notwendig.

Die Unternehmen, die in der Krise investieren, müssen durch staatliche Hilfen ermutigt werden, statt durch überflüssige Steuergeschenke die Sparquoten zu erhöhen.

Neben der sofortigen Abschreibung von Investitionsgütern und der zeitlich befristeten Einführung von Investitionszulagen oder der steuerlichen Förderung von Forschungsförderung in Unternehmen wollen wir auch den "Deutschlandfonds" nutzen, der 2009 aufgelegt wurde, um krisengebeutelte Unternehmen zu unterstützen.

Der Fonds hat ein Volumen von 115 Milliarden Euro ? davon 40 Milliarden Euro für Kredite. Doch nur rund 10% davon wurden bislang abgerufen, über 30 Milliarden Euro an Kreditermächtigungen sind derzeit ungenutzt. Wir wollen das Instrumentarium des Fonds erweitern und ihn zu einem "Zukunftsfonds Deutschland" ausbauen.

3. Rettungsschirm für Kommunen auflegen!

Die Haushaltslage der Städte und Kommunen in Deutschland ist katastrophal. Die krisenbedingt steigenden Sozialausgaben und die weg brechenden Gewerbesteuereinnahmen gefährden die Handlungsfähigkeit der Kommunen. Anstatt eine finanzielle Perspektive zu schaffen, treibt Schwarz-Gelb die Kommunen durch Steuerprivilegien und Klientelgeschenke für einzelne Gruppen in den Ruin.

Wir wollen einen Rettungsschirm für die Kommunen aufspannen und ihre Investitionsfähigkeit erhalten. Wir fordern eine stärkere Beteiligung des Bundes an den Kosten der Unterkunft. Diese soll auf zwei Jahre befristet werden und einen Umfang von 400 Millionen Euro pro Jahr betragen. Wir fordern die Rücknahme der im Bundestag beschlossenen Änderungen bei der Besteuerung der Funktionsverlagerung und der gewerbesteuerlichen Hinzurechnung bei Leasing und Factoring. Wir fordern den Verzicht auf weitere
Steuergeschenke, die zu zusätzlichen Belastungen der Kommunen führen.

4. Brücken in Beschäftigung schaffen ? gute Arbeit und Bildung sicherstellen!

Die Stärkung regulärer und fair bezahlter Arbeit ist eine wichtige Aufgabe, nicht nur, um aus der Krise herauszukommen sondern auch um künftige Krisen zu vermeiden. Denn es gibt einen Zusammenhang zwischen der sinkenden Lohnquote und der zu schwachen Binnennachfrage einerseits und steigenden Vermögen und spekulativer Finanzanlage andererseits. Eine Wirtschaftspolitik, die das Ganze in den Blick nimmt, sieht in Löhnen nicht nur "Kosten", sondern auch Nachfrage.

Stagnierende oder sogar sinkende Löhne sind nicht die Lösung, sondern ein Teil des Problems. Für uns ist die reguläre, sozialversicherungspflichtige und tariflich entlohnte Beschäftigung das Leitbild. Die Arbeitsmarktpolitik soll Brücken in diese Form der Beschäftigung bauen.

Deutschland braucht auch deshalb einen allgemeinen gesetzlichen Mindestlohn. Der Vorschlag des DGB, der eine Höhe von 8,50 Euro vorsieht, geht in die richtige Richtung. Zudem müssen wir die Tarifbindung wieder erhöhen. Nur noch 52 Prozent der Beschäftigten arbeiten in Betrieben mit einer tariflichen Bindung. Daher muss das wirtschaftspolitische Instrument der Allgemeinverbindlichkeitserklärung wieder verstärkt genutzt werden.

Die Ausweitung der Leiharbeit hat zu einem erheblichen Missbrauch seitens der Unternehmen geführt. Wachsende Unsicherheit, gespaltene Belegschaften und Lohndumping waren die Folge.

Wir wollen Leiharbeit wieder begrenzen. Nach einer kurzen Einarbeitungszeit soll der Grundsatz, "gleiches Geld für gleiche Arbeit" ohne Ausnahme gelten. Um den schlimmsten Missbräuchen zu begegnen ist eine Lohnuntergrenze notwendig. Am einfachsten wäre es, die Leiharbeitsbranche in den Geltungsbereich des Arbeitnehmerentsendungsgesetzes aufzunehmen.

Gute Arbeit hat gute Bildung zur Voraussetzung.

Wir wollen in die Köpfe der Menschen investieren: Der Bund stellt in den kommenden vier Jahren die notwendigen Mittel zur Verfügung, um gemeinsam mit den Ländern die Bildungsinvestitionen auf den Durchschnitt der OECD-Staaten von 7 % anzuheben.

5. Nachhaltige Investitionen durch ökologische Industriepolitik

Energie und Material machen mittlerweile die Hälfte der Kosten in der Industrie aus ? Lohnkosten weniger als 20%. Bei weiter steigenden Energiepreisen und zunehmender Versorgungsunsicherheit wird Rohstoffeffizienz der zentrale Wettbewerbsfaktor im nächsten Jahrzehnt.

Wenn deutsche Unternehmen sorgsam mit Energie und Material umgehen lernen, dann stehen sie im internationalen Wettbewerb nachhaltig besser da ? und das nicht auf Kosten der Arbeitnehmer und ohne dass die Schere zwischen Löhnen und Gewinnen weiter aufgeht.

Dafür braucht es eine Vielzahl an neuen, umweltschonenden Technologien. Schätzungen zufolge werden sich diese "Cleantech-Märkte" bis 2020 weltweit auf über 2.000 Milliarden Euro verdoppeln.

In vielen Umwelttechnologien ist Deutschland heute schon Weltmarktführer für. Doch neue Investitionen sind vonnöten ? denn in vielen Leitmärkten, beispielsweise der Elektromobilität, holen andere Länder zunehmend auf.

Mit intelligenten Maßnahmen kann der Staat zum Motor der Innovation werden. Wenn Bund, Länder und Kommunen selbst so umweltbewusst einkaufen wie es die Bürger auch tun, könnten mehr als 50 Milliarden Euro jedes Jahr für ökologische Technologien eingesetzt werden.

Die öffentliche Hand kann somit eine massive Einkaufsmacht für umweltfreundliche Produktinnovationen werden ? ohne die öffentlichen Haushalte zusätzlich zu belasten.

Doch Schwarz-Gelb tut das Gegenteil: Die Regierung will ökologische und soziale Standards im Vergaberecht abschaffen.

Die zentralen wirtschaftspolitischen Fragen unserer Zeit lauten: Wie kann es gelingen zu regulieren, zu konsolidieren, zu investieren, nicht zu inflationieren und gleichzeitig Beschäftigungsbrücken über das Jahr 2011 hinaus zu bauen? Wie kann dafür gesorgt werden, dass nicht die Bürgerinnen und Bürger einseitig alle Lasten der Krise zu tragen haben? Woher sollen die Investitionsimpulse für die konjunkturelle Entwicklung der kommenden Jahre kommen? Wie justieren wir das Verhältnis zwischen
Binnenmarktentwicklung und Exportwirtschaft neu? Wie verbinden wir eine konjunkturorientierte Haushalts- und Finanzpolitik mit Maßnahmen, die Deutschland und Europa wieder auf einen nachhaltigen und soliden Wachstumspfad bringen? Wie kann dieser neue innovative Wachstumspfad aussehen? Wie können Krisen dieser Art in Zukunft vermieden werden?

Auch wenn die schwarz-gelbe Bundesregierung keine Antworten und stattdessen von Steuersenkungen und unsozialen Kopfpauschalen fabuliert, müssen wir diese Fragen beantworten.

Unsere heutige Veranstaltung und die vorgestellten Ansätze für eine aktuelle Anti-Krisen-Politik soll dafür der Auftakt sein.

Mir bleibt jetzt noch die Ehre, Paul Nyrup Rasmussen anzukündigen. Paul ist Präsident der SPE, und ein ausgewiesener Fachmann in Sachen Wirtschafts- und Finanzpolitik. Er hat maßgeblich dazu beigetragen, dass die Kommission nunmehr einen Vorschlag zur Regulierung von Private Equity und Hedge-Fonds vorgelegt hat.
Paul, ich freue mich, dass Du da bist. Du hast Dich selbst von Vulkanausbrüchen nicht abhalten lässt. Ich bin sicher, Du wirst uns wertvolle Denkanstöße liefern!


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Herausgeberin: Andrea Nahles
Redaktion: Tobias Dünow
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Datum: 21.04.2010 - 16:47 Uhr
Sprache: Deutsch
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