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Rede von Bundesratspräsident Jens Böhrnsen zum Gedenken zu Ehren der Opfer der Sinti, Roma und Jenis

ID: 147333

Rede von Bundesratspräsident Jens Böhrnsen zum Gedenken zu Ehren der Opfer der Sinti, Roma und Jenischen


(pressrelations) - >Meine sehr geehrten Damen und Herren,

ich eröffne die 865. Sitzung des Bundesrates.

Bevor wir in die Tagesordnung eintreten, gedenken wir heute der Opfer des nationalsozialistischen Völkermordes an Sinti und Roma und der Gruppe der Jenischen. Unter unseren Gästen sind heute Überlebende dieser Verbrechen, Angehörige und Nachkommen der Opfer. Ich begrüße auch herzlich die Sprecherinnen und Sprecher und Vertreter dieser nationalen Minderheit. Ich danke Ihnen im Namen des gesamten Hohen Hauses für Ihr Kommen.

Im Oktober 1979 wurde im ehemaligen Konzentrationslager Bergen-Belsen zum ersten Mal in Deutschland offiziell an den Völkermord an Sinti und Roma erinnert.

Damals hielt die Jüdin Simone Veil, die selbst Auschwitz und Bergen-Belsen überlebt hatte, als Präsidentin des Europäischen Parlaments die Gedenkrede.

Gefragt, warum sie nach Bergen-Belsen gekommen sei, antwortete sie:
"Wie kann man sich vorstellen, dass ich nicht kommen würde,...
wenn man weiß, dass wir zusammen gelitten haben,
dass wir zusammen unsere Toten beweint haben,
die in den Krematorien verbrannt wurden;
wenn wir wissen, dass die Asche aller unserer Eltern vereint ist,..."

Und dann fügte sie noch hinzu:
"Ich glaube, wir haben nicht immer genügend Solidarität gefühlt, diese Solidarität des gemeinsamen Unglücks."

Vor 67 Jahren, am 16. Dezember 1942, unterzeichnete Heinrich Himmler den sogenannten "Auschwitz-Erlass".

Von März 1943 an wurden 23 000 Sinti und Roma in ganzen Familien, von den Kleinkindern bis zu den Greisen, aus elf Ländern Europas in das Vernichtungslager Auschwitz-Birkenau deportiert und fast alle ermordet. Unter diesen 23 000 Menschen waren 10 000 deutsche Sinti und Roma aus dem Reichsgebiet.

Seit circa 600 Jahren leben Sinti in Deutschland. Und von Anfang an ist ihre Geschichte eine Geschichte des Unrechts, der Ausgrenzung und Vertreibung, der Verfolgung und Ermordung.





Ähnlich wie die Juden wurden Sinti und Roma verantwortlich gemacht für die Verbreitung der Pest, für Naturkatastrophen und Seuchen. Sie wurden der Ketzerei und Spionage verdächtigt.

Sinti und Roma wurden dann auch zu Hauptopfern des nationalsozialistischen Staates. Dieser sprach ihnen mit den NS-"Rasse"-Gesetzen das Jahrhunderte alte Heimatrecht ab, raubte ihnen ihre Wohnungen und ihr Eigentum, deportierte sie willkürlich, verfolgte und ermordete sie.

Parallel zu dem Völkermord an Sinti und Roma wurde als zweiter Teil der versuchten Auslöschung die Zwangssterilisation von Sinti und Roma durchgeführt.

Insgesamt wurden in der Zeit zwischen 1933 und 1945 rund 500 000 Sinti und Roma von Deutschen und ihren Helfershelfern ermordet.

Der Völkermord an den Juden, an den Sinti und Roma und an den Jenischen ist einzigartig in der Geschichte der Menschheit.

Auch für die Sinti und Roma ist die Erfahrung des Völkermords der entscheidende Bezugspunkt ihrer Geschichte und ihrer gegenwärtigen Existenz.

Es gibt kaum eine Familie der Sinti und Roma, die nicht gezeichnet ist vom Morden, von der psychischen und physischen Vernichtung.

Ich weiß von vielen, die heute hier anwesend sind, wie stark die Schmerzen und die Trauer immer noch sind, ich weiß von den Wunden, die nicht vernarben können.

Anrede

Auch gegenüber den Sinti und Roma gibt es neben der ersten Schuld, die im Völkermord gipfelte, die zweite Schuld: die Aussöhnung mit den Tätern und die Vernachlässigung und Diffamierung der Opfer.
Und was besonders bedrückend ist:
Sinti und Roma gehören auch heute wieder zu den Menschen, die in ganz besonderer Weise von Fremdenhass und Rassismus bedroht sind.

Vor allem im Internet wächst die menschenverachtende rassistische Propaganda gegen Sinti und Roma.

Auch in Fußballstadien wird immer wieder gegen Sinti und Roma gehetzt. Und ich danke dem DFB und seinem Präsidenten Dr. Zwanziger für sein Engagement gegen Rassismus und Menschenfeindlichkeit.

Zu unserer Verantwortung gehört es auch, dem wachsenden Hass auf Sinti und Roma in manchen Beitrittsländern der Europäischen Union entgegenzutreten. Allein in Ungarn sind in den letzten Monaten sieben Angehörige der Roma-Minderheit ermordet worden.

Unser Gedenken heute ist nicht nur ein moralisches Gebot gegenüber den Ermordeten und ihren Angehörigen, es ist lebensnotwendig für unsere eigene Würde und Moral.

Das Erinnern schärft unser moralisches Empfinden
und unsere demokratische Wachsamkeit.
Es verlangt von uns, zu handeln,
wo Menschen ihrer Menschenrechte beraubt werden,
wo Minderheiten benachteiligt und unterdrückt werden,
wo Lügen die Wahrheit verdrängen.

Anrede

Erst die 1979 entstandene Bürgerrechtsbewegung der Sinti und Roma und der 1982 gegründete Zentralrat machten den Völkermord in der Öffentlichkeit bekannt.

Ich danke allen, die sich für diese Bürgerrechtsarbeit engagiert haben und engagieren. Sie sind allen Verdrängungsversuchen entgegengetreten. Sie haben immer an die besondere Verantwortung der Bundesrepublik appelliert für eine angemessene Entschädigung und für die Beendigung diskriminierender Praktiken.

Sie wachen darüber, dass Verstöße gegen die Menschlichkeit, dass Diffamierungen und Beleidigungen der Sinti und Roma öffentlich gemacht und verurteilt werden.

Vor allem aber stärken sie das Selbstbewusstsein der Sinti und Roma und helfen dadurch entscheidend mit, dieser Minderheit eine Stimme zu geben, die ihre Rechte einfordert.

Heute wird über Sinti und Roma anders geredet als noch vor wenigen Jahren, zum Teil auch schon anders gehandelt.

Dennoch: Es gibt für Sinti und Roma nicht nur die Last der Vergangenheit, es gibt auch die Last der Gegenwart.

Anrede

Obwohl die Sinti und Roma seit Jahrhunderten in Deutschland leben, kennt von der Mehrheitsbevölkerung kaum jemand dieses Volk.

Kaum jemand weiß etwas über ihre Geschichte, ihre Kultur, ihre Bräuche, ihre Religion, ihre Ängste und Träume, ihre Werte und ihre Weisheit.

Günter Grass hat die Sinti und Roma "einen blinden Fleck im Bewusstsein Europas" genannt.

Doch wer sich diesem Volk nähert, wer diese Menschen sieht, erkennt rasch ihre Würde und ihre Menschlichkeit, ihre Lebenskraft und Lebensfreude, die sich spiegelt in der Schönheit ihrer Dichtung und ihrer Musik.

Eine alte Weisheit sagt:
Freiheit ist da, wo die Sinti und Roma frei sind.

Ich glaube, auch wahre Demokratie ist da, wo Sinti und Roma gleiche Rechte haben und sie genießen können. sie ist da, wo ihnen mit Respekt und Neigung begegnet wird.

"Rom" heißt in der Sprache der Sinti und Roma Mensch. Ich wünsche mir, dass die "Romni", die 'Menschen' uns näher kommen, dass wir sie sehen und schätzen und dass sie gerne mit uns leben.

Ich wünsche Ihnen und vor allem uns, dass Deutschland seine geschichtlichen Erfahrungen zum Maßstab seiner Politik macht.

Wenn wir uns an der Erinnerung orientieren, dann haben wir eine Chance für eine menschliche Zukunft.

Meine Damen und Herren, ich bitte Sie nun, sich von Ihren Plätzen zu erheben, um der Opfer nationalsozialistischer Gewalt unter den Sinti und Roma, den Angehörigen der eigenständigen Gruppe der Jenischen und anderer Fahrender zu gedenken.


URL: www.bundesrat.de

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Bereitgestellt von Benutzer: pressrelations
Datum: 19.12.2009 - 07:06 Uhr
Sprache: Deutsch
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