Berliner Zeitung: Kommentar zu Gewaltandrohungen gegen Politiker, Prominente und Journalisten aus gegebenem Anlass:
(ots) - Wegen ihrer Berichterstattung über ein mögliches
Sexualdelikt gegen ein deutsch-russisches Mädchen aus Berlin Marzahn
sehen sich Redakteure der Berliner Zeitung seit Tagen rüden
Gewaltandrohungen aus dem Internet und den sozialen Netzwerken
ausgesetzt: Brigitte Fehrle, die Chefredakteurin der Berlin Zeitung
nimmt nun dazu Stellung:
Angriff auf die Zivilisation
Von Brigitte Fehrle Seit einigen Tagen werden Kollegen der
Berliner Zeitung in den sozialen Netzwerken massiv beschimpft und
bedroht. Es gibt Posts, die den Kollegen schwere Gewalt androhen.
Anlass ist die Berichterstattung über das Verschwinden eines
13-jährigen Mädchens. Das Mädchen ist inzwischen wieder aufgetaucht.
Was genau passiert ist, ist bis heute unklar. Die Berliner Zeitung
hat von Anfang an ausführlich berichtet. Die Unterstellungen gegen
die Zeitung und ihre Redakteure im Übrigen auch gegen die Polizei:
Lügen und Vertuschen. Es gibt Posts, die beleidigende Adjektive
beinhalten, es gibt aber auch Posts, die den Kollegen rohe Gewalt
androhen. Wir sind darüber entsetzt und schockiert. Nicht, weil es
uns trifft. Sondern weil wir wissen, dass wir keine Ausnahme sind.
Viele Politiker, bekannte Wirtschaftsleute, Schauspieler, die sich
sozial oder politisch engagieren, sehen sich inzwischen einer
Öffentlichkeit in den sozialen Netzwerken gegenüber, die die Grenze
streitbarer Auseinandersetzung weit überschritten hat. Verbale Gewalt
ist Gewalt und damit strafbar, und deshalb nehmen wir sie ernst. Wann
immer strafrechtlich Relevantes auftaucht, erstatten wir Anzeige.
Nicht erst seit heute. Was ist da los? Warum vervielfältigen soziale
Netzwerke immer öfter übelsten Dreck? Gab es die Pöbler schon seit
jeher, hatten sie nur keinen Resonanzboden? Verstärken sie sich
gegenseitig und schrauben sich hoch in immer noch brutaleren,
ekelhaften Formulierungen? Gibt es Agitatoren, die gezielt versuchen,
Stimmungen zu verstärken und auszunutzen, um auszutesten, wie viel
Widerhall die Brutalisierung der Sprache und der Drohungen im Netz
bekommt? Vermutlich stimmt alles oder von allem etwas. Stammtische
hat es schon immer gegeben, an denen sich Menschen am Abend die Köpfe
heißgeredet und bei entsprechendem Alkoholkonsum wüste Beschimpfungen
ausgestoßen haben. Man war unter sich, also zu viert oder fünft. Das
Netz, der große virtuelle Stammtisch, hat die Kneipe womöglich nicht
ersetzt, eher ergänzt. Im Netz, im Schutz der Anonymität, fallen alle
Grenzen. Die Anonymität im Netz enthemmt. Offenbar rechnet keiner,
der dort schreibt, mit Konsequenzen. Im Netz greift der Rechtsstaat
nicht. Es gibt zwar Kläger und Richter, allein sie bleiben hilflos,
weil sich die Beschuldigten unter Tarnkappen verbergen dürfen. Viele
Adressen bei Facebook sind nicht nachvollziehbar. Jeder kann sich
dort unter Fantasienamen anmelden. Und natürlich gibt es viele
strategisch arbeitende Provokateure, die gezielt versuchen,
Stimmungen aufzuheizen, Misstrauen gegen die Polizei zu schüren,
Politiker und die Politik zu diskreditieren und Journalisten
unglaubwürdig zu machen. Nun sagen viele: Was kümmert uns das Netz?
Ignorieren wir diesen Dreck einfach! Nutzen wir die schönen Seiten,
die grenzenlosen Möglichkeiten der Kommunikation, die Chance,
weltweit Kontakte zu knüpfen, Informationen auszutauschen, uns zu
organisieren. Aber ganz so einfach ist es leider nicht, wenn aus den
sozialen unsoziale Netzwerke werden, in denen Menschen sich als
Freiwild fühlen müssen. Das Netz hat einen rohen Teil unserer
Gesellschaft zum Vorschein gebracht. Aber es beschleunigt auch die
Verrohung. Es ermutigt die Radikalen und die Dummen, es macht
Verschwörungstheorien zu Wahrheiten und Wahrheiten zu Lügen. Die
brutale Sprache, die Respektlosigkeit, die Willkür, die Bösartigkeit,
all das ist ein Angriff auf unsere Zivilisation. Und deshalb kann man
sich aus dem Netz nicht das Schöne aussuchen und das Unschöne einfach
wegklicken. Deshalb müssen wir uns wehren gegen das Böse im Netz. Bei
der Berliner Zeitung - wie bei allen klassischen Medien - arbeiten
ausgebildete Journalisten. Sie sind der Wahrheit verpflichtet. Zu
ihrem Beruf gehören Eigenschaften wie Genauigkeit und Sorgfalt. Sie
müssen kritisch nach allen Seiten sein, dürfen nichts schreiben, was
sie nicht belegen können. Sie müssen kennzeichnen, was bewiesen, was
Vermutung und was Gerücht ist. Wir sind streitbar, wir pflegen auch
die klare Sprache. Aber wir verletzen niemals mit Absicht die
Integrität einer Person. Und ja, wir machen auch Fehler, aber wir
gestehen sie ein, machen sie kenntlich und korrigieren sie. Das ist
unser Programm gegen Desorientierung, gegen Brutalisierung und
Verrohung. Dafür nehmen wir uns das Recht und die Zeit zum
Nachdenken, zum Abwägen, zum Überprüfen. Und wir hoffen sehr, dass
Sie, unsere Leser, das zu schätzen wissen.
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Datum: 27.01.2016 - 17:25 Uhr
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