Landeszeitung Lüneburg: "Ende des fossilen Zeitalters eingeläutet" - Interview mit der Expertin Dr. Susanne Dröge
(ots) - Der Pariser Klimagipfel ist auf gutem Weg, die
Wende zu bringen. Zeit wurde es. Schon 2014 war das wärmste Jahr seit
Beginn der Aufzeichnungen. 2015 wird eine neue - vorläufige -
Höchstmarke setzen. Die Regierungschefs haben aus dem Scheitern der
bisherigen Gipfel gelernt, meint Expertin Dr. Susanne Dröge vom
Thinktank "Stiftung Wissenschaft und Politik": "Freiwillige
Selbstverpflichtungen statt Zielwerte bringen den Durchbruch".
Sie haben die Klimaverhandlungen in Paris beobachtet. Wie groß ist
die Bereitschaft, die Scharte von Kopenhagen auszuwetzen?
Dr. Susanne Dröge: In Paris wird die Ernte eingefahren, nachdem
sechs Jahre lang gesät wurde. Die Aussichten stehen gut.
Hilft das Abkommen auch dem KIima?
Dr. Dröge: Darüber wird zu Recht noch gestritten. Das Abkommen
hilft für sich genommen noch nicht, das Problem des Klimawandels
direkt an der Wurzel zu packen. Zumal die Treibhausgase ja bereits in
der Atmosphäre sind. Selbst bei einem sofortigen Komplett-Ausstieg
aus der Verbrennung fossiler Ressourcen käme es zu einem Klimawandel.
Der Beitrag des Abkommens von Paris ist in erster Linie, einen Weg
aufzuzeigen, wie man im Gespräch bleiben kann, um echten Klimaschutz
zu betreiben. Mit ihm endet der Wettstreit des Aussitzens und des
Schuldzuschiebens. In der Vergangenheit wurden zunächst verbindliche
Klimaziele international ausgehandelt, ohne Rücksicht darauf, wie
umsetzbar die Ziele für die einzelnen Staaten waren. Jetzt wurde der
Prozess umgedreht: Die Staaten legten nach nationalen Debatten
freiwillige Beiträge fest. Viele blieben dabei sehr konservativ,
obwohl sie mehr machen könnten. Dennoch ist mein Fazit: Dieses
Vorgehen bringt mehr als das, was wir bisher hatten.
Wie groß ist die Gefahr, dass die Länder nur Minimalbeiträge
vorlegen, mit denen die globale Herausforderung des Klimawandels
nicht gemeistert werden kann?
Dr. Dröge: Hier besteht eine gemischte Bilanz. Einige Länder
liefern nur Lippenbekenntnisse. Andere, zum Beispiel Mexiko, setzen
sich beim Klimaschutz vorbildlich ehrgeizige Ziele, bringen Gesetze
auf den Weg, die die beabsichtigten Maßnahmen festzurren. Das ist
auch eine Folge des in den vergangenen sechs Jahren durchlaufenen
Prozesses, erst innerhalb der Länder zu diskutieren, was geleistet
werden kann und auch, welchen Nutzen der Klimaschutz dem Land bringt.
Hier spätestens kommen die Energieversorgung und
Versorgungssicherheit ins Spiel, die für viele Länder der Anlass
sind, umzudenken. Paris kann das Signal aussenden, dass das Ende des
fossilen Zeitalters eingeläutet wurde. Entsprechend nervös ist die
Gegenreaktion der Staaten und Unternehmen, die auf Öl, Kohle und Gas
setzen. Die Niedrigpreise beim Erdöl belegen, wie heftig die
Abwehrschlacht tobt. Mit Tiefpreisen versuchen die produzierenden
Länder den Willen zur Energiewende zu lähmen.
Besteht die Möglichkeit, die Selbstverpflichtungen noch zu
verschärfen, da erkennbar ist, dass das Zwei-Grad-Ziel verfehlt wird?
Dr. Dröge: Ja, weil in Paris auch verabredet werden soll, die
Diskussion zu verstetigen. Alle fünf Jahre soll Bilanz gezogen, soll
überprüft werden, ob man sich zutraut, beim Klimaschutz nochmal
nachzulegen. Peking etwa hätte gerne bereits 2025 das Jahr erreicht,
ab dem der Treibhausgasausstoß sinkt, traut sich dieses Ziel wegen
der extrem hohen Abhängigkeit von der Kohle nicht zu. Da kann in der
Zukunft noch etwas gehen. Die Verabredung eines Fünf-Jahres-Zyklus
ist ein Fortschritt, weil es nun nicht mehr dem Zufall überlassen
bleibt, wann sich die 195 Mitgliedsstaaten der Klimarahmenkonvention
mal wieder an das Thema wagen. Wie notwendig das ist, zeigt die
derzeitige optimistische Schätzung, die von einer durchschnittlichen
Erwärmung um 2,7 Grad bis Ende des Jahrhunderts ausgeht. Das wird für
viele Regionen verheerende Folgen haben.
Bleiben die Schwellenländer so auf Dauer im Boot?
Dr. Dröge: Die Hoffnung habe ich, weil viele Schwellenländer in
dem Spannungsverhältnis zwischen Kohle und Erneuerbaren, verstärkt
auf Sonne, Windkraft und Wasser setzen. Hier ist in erster Linie
China zu nennen. Indien auf der anderen Seite kann ebenfalls vorerst
nicht auf Kohle verzichten. Dafür ist der Energiebedarf des
Subkontinents zu groß. Gleichwohl will Neu Delhi die erneuerbaren
Energien forcieren. Dieses Spannungsverhältnis löst das Land auf,
indem es auf dem Klimagipfel Unterstützung für seinen Weg hin zu den
Erneuerbaren einfordert. Insofern hat sich bei der Bereitschaft der
Schwellenländer das Spiel verändert.
Das Spiel hat sich auch bei der Geberlaune der Industrieländer
verändert: 100 Milliarden Dollar wollen sie sich das Abkommen kosten
lassen. Ist das alles frisches Geld oder wurde Entwicklungshilfe in
Klimahilfe umgewidmet?
Dr. Dröge: Auch wenn noch nicht auf jeder Summe aus öffentlichen
und privaten Töpfen ein Schild mit dem Verwendungszweck klebt, ist
klar, dass dies auf keinen Fall alles frisches Geld ist. Obwohl sich
letztendlich nicht sauber trennen lässt, was wirklich zusätzlich
ausgegeben wird, kann man davon ausgehen, dass einiges frisches Geld
dabei ist. Die Kritik der Entwicklungsländer zielt noch in eine
andere Richtung: Zum größten Teil geben die Industrieländer das Geld
als Kredite, womit sich die Empfänger verschulden.
Ist der Klimafonds ausreichend ausgestattet, um den Finanzbedarf
der Entwicklungsländer zur Klimaanpassung abzudecken?
Dr. Dröge: Das ist genau der Knackpunkt. Eigentlich ist die
Finanzierung der Klimaanpassung eine klassische Aufgabe für die
öffentliche Hand. Öffentliches Gut vor Extremwettern zu schützen,
birgt wenig Profitmöglichkeiten, ist also für private Investoren
unattraktiv. Deshalb ist der Fonds noch nicht gut genug ausgestattet.
Beim Klimaschutz - etwa über Energieerzeugung - winken andere
Profite.
Anders als beim Kyoto-Protokoll sind die USA und China dabei. Wie
unsicher ist die künftige US-Politik angesichts republikanischer
Aussagen, das Rad wieder zurückdrehen zu wollen?
Dr. Dröge: Die innenpolitische Auseinandersetzung in den USA ist
auch im Bereich Klimaschutz sehr hart. Oft stehen sich unversöhnliche
Positionen gegenüber. Die Republikaner versuchen nach Kräften, die
Außen- und Umweltpolitik von Barack Obama zu torpedieren. Würde
Hillary Clinton oder ein anderer demokratischer Bewerber Obama im Amt
beerben, würde die Klimaschutzagenda zwar noch fortgeführt werden,
aber vielleicht nicht mehr mit demselben Nachdruck. Ein
republikanischer US-Präsident würde stoppen, was immer er noch
stoppen kann. Das ist aber weniger, als man denkt. So können viele
Vorstöße von Bundesstaaten vom Weißen Haus nicht unterbunden werden.
China hat zwar wegen des lauteren Murrens der Bürger über die
Luftverschmutzung gute Gründe für Klimaschutz. Übersteht diese
Bereitschaft die Erkenntnis, dass Kohle so ziemlich die einzige
Ressource Chinas ist?
Dr. Dröge: Chinas Primärenergieverbrauch hängt zu fast 70 Prozent
an der Kohle. Ein schneller Ausstieg ist illusorisch. Deshalb ist
Pekings Neigung zu schnellen, vermeintlichen Ad-hoc-Lösungen fatal.
Wenn etwa bestimmte Luftverschmutzungswerte an einem bestimmten Tag
unter einen bestimmten Grenzwert rutschen sollen, werden einfach
vorübergehend Kraftwerke abgeschaltet. Oder es wird erwogen, die
Fabriken aus der Nähe des besonders belasteten Pekings in andere
Teile des Landes zu verlegen. Nachhaltig ist etwas anderes. Peking
denkt trotz fehlenden Machtwechsels durch Wahlen nicht per se in die
Länge. Aber das Regime probiert ständig etwas Neues aus, so dass
Überraschungen möglich bleiben.
Denkt Deutschland noch in die Länge, ist es noch Klimavorreiter?
Dr. Dröge: Deutschland hat sich selbst so sehr unter Druck
gesetzt, dass es auf jeden Fall noch Maßstäbe setzt. Und dies gilt
auch, sollte Deutschland das Klimaziel für 2020, die Emissionen im
Vergleich zu 1990 um 40 Prozent zu senken, verfehlen. Gleichwohl muss
die Bundesregierung noch mal dahingehen, wo es wehtut. Nicht
einschätzen kann ich, welche Halbwertzeit die Ankündigungen von
Umweltministerin Hendricks haben, innerhalb von 25 Jahren den
Ausstieg aus der Kohleverstromung zu schaffen. Denn unser komplexes
Gesetzgebungsverfahren ist bisweilen allzu träge, und man scheut
davor zurück, alte Zöpfe abzuschneiden. Dies betrifft vor allem die
politischen Instrumente und den fehlenden Blick auf Europa. Ein
Ausstieg aus der Kohle lässt sich mit Inseldenken nicht
bewerkstelligen.
Der Klimawandel ist eine Apokalypse in Zeitlupe. So konnten ihn
erst die Wirtschafts- und Finanzkrise und nun der Terrorismus aus den
Schlagzeilen verdrängen. Wie kann verhindert werden, dass
Klimapolitik immer wieder ins Aufmerksamkeitsloch rutscht?
Dr. Dröge: Die Frage ist, ob es wirklich so zielführend wäre, eine
erwartete Katastrophe jeden Tag anzukündigen. Die Gefahr einer
Ermüdung der Menschen wäre dann übergroß. Aus meiner Sicht ist es
eher begrüßenswert, dass das Klimathema immer mal wieder in der
Versenkung verschwindet. Wenn es dann aber wieder auf die Agenda
rutscht, sollte weiter an der Lösung gearbeitet worden sein.
20 Klimagipfel haben uns dem Abgrund immer etwas näher gebracht.
Gilt das auch für den 21. Gipfel von Paris?
Dr. Dröge: Wer die Folgenlosigkeit der Klimaverhandlungen beklagt,
überschätzt den Stellenwert solcher Gipfel. Ihre Funktion ist nicht,
für morgen eine Lösung zu liefern, sondern eine diplomatische
Annäherung zwischen 195 Staaten zu erreichen. Es ist per se ein
extrem schwieriges Geschäft, unter so vielen Parteien einen Konsens
auszuhandeln. Gelingt dies, ist das eine gute Nachricht. Handeln
müssen letztlich die Akteure, die in Paris gar nicht am
Verhandlungstisch saßen - die Unternehmen und die Bürger. ↔
↔Das Interview führte ↔Joachim Zießler
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Werner Kolbe
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werner.kolbe(at)landeszeitung.de
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Datum: 10.12.2015 - 13:57 Uhr
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