NRZ: Verneigung vor einem klugen Pragmatiker - ein Kommentar von MANFRED LACHNIET
(ots) - Was er wohl über die Flüchtlingskrise gedacht hat?
Oder über den erbärmlichen Zustand Europas? Wir werden es nicht mehr
erfahren. Mit dem Tod von Helmut Schmidt verliert Deutschland einen
großen Staatsmann und eine Stimme, die bis zuletzt größte
Aufmerksamkeit fand. Mit Krisen hatte Schmidt es zeitlebens zu tun.
Als 1962 an der Nordsee die Dämme brachen, organisierte er
unbürokratisch Hilfe. Es war die Stunde des Machers. "Wir schaffen
das" hat er indes nie gesagt; große Worte verlor er lieber nach der
Tat. Im Nachkriegsdeutschland stieg einer wie er schnell auf:
Verteidigungsminister war er, Wirtschaft und Finanzen konnte er
genauso gut. Kaum ein anderer Politiker brachte dabei so viel Wissen
und Vorbildung mit wie der studierte Volkswirt Schmidt. Als 1974 die
Guilleaume-Affäre Willy Brandt zu Fall brachte, war Schmidt der Mann
der Stunde. Er setzte die Entspannungspolitik fort; sprach mit
Washington wie mit Moskau. Seine wohl schwersten Stunden hatte er,
als RAF-Terroristen das Land in die Anarchie bomben wollten. Er war
es, der mit der Erstürmung der "Landshut" den Tod des
Arbeitgeberpräsidenten Hanns Martin Schleyer in Kauf nehmen musste.
Schmidt war Pragmatiker; genauso Sozialdemokrat aus Leidenschaft. Die
Erfahrung der Nazi-Herrschaft und der Wille, es nach dem Krieg besser
zu machen, hatten ihn zum politischen Menschen gemacht. Dennoch ist
seine Partei nie richtig warm mit dem knorrigen Hanseaten geworden.
Doch das eint ihn mit den anderen sozialdemokratischen Kanzlern. Was
Schröder später seiner SPD mit der Agenda 2010 zumutete, machte
Schmidt mit dem umstrittenen Nato-Doppelbeschluss vor. Und das in
einer Zeit, als die Friedensbewegung Hunderttausende auf die Straßen
brachte. Am Ende des kalten Krieges durfte er sich im Recht fühlen.
Das später die Einheit kommen sollte, konnte er nicht ahnen. Auf der
Weltbühne gab Schmidt den top-vernetzten Volkswirt. Seine Meinung und
sein Wissen wurden in West und Ost gleichermaßen geschätzt.
Staatsräson - das war für ihn kein hehrer Philosophiebegriff, sondern
eine Sache der Vernunft. Logisch, dass so jemand auch im hohen Alter
nicht still sein konnte. Und so wurde er nicht nur Herausgeber,
sondern auch kluger Gast bei vielen internationalen Veranstaltungen.
Wenn er dabei bisweilen ein wenig oberlehrerhaft vorkam, war das
keine Attitüde: Er war so gestrickt, genoss es insgeheim und paffte
dabei seine Mentholzigarette. Helmut Schmidt wird uns allen fehlen.
Kluge Pragmatiker sind nicht die schlechtesten Kanzler.
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Datum: 10.11.2015 - 16:17 Uhr
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