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Landeszeitung Lüneburg: Macht euch zum Untertan der Erde / Dr. Rainer Hagencord, Priester und Zoologe: Öko-Enzyklika des Papstes revolutioniert die Haltung zur Natur

ID: 1230276

(ots) - In seiner ersten allein verfassten Enzyklika
"Laudato si" fordert Papst Franziskus einen gewissenhafteren Umgang
mit der Natur. Seine Ausführungen sorgen innerhalb der katholischen
Kirche für Kontroversen. Dr. Andreas Hagencord hingegen lobt den
"revolutionären und überzeugenden" Vorstoß. Dr. Hagencord ist
katholischer Priester und Zoologe, er leitet das "Institut für
Theologische Zoologie" in Münster. Er sagt: "Die Abkehr von der
Haltung, sich die Erde untertan zu machen, ermutigt Umweltschützer."

Ist der Papst in Sachen Klimaschutz mittlerweile das
konsequenteste Staatsoberhaupt?

Dr. Rainer Hagencord: Als Autor der Enzyklika "Laudato Si" ist der
Papst nicht als Staatsoberhaupt unterwegs, sondern als jemand, der
sich fragt, wie kann sich eine Theologie - und damit eine Kirche -
gegenüber der ökologischen und sozialen Katastrophe verhalten. Welche
Theologie ist angemessen, dem zu begegnen? Aber tatsächlich hat der
Papst als Staatsmann eine besondere Rolle, weil er das Privileg hat,
nicht mit wirtschaftlichen Lobbys verknüpft zu sein. Er kann sich
anders als andere Staatsoberhäupter sehr viel unabhängiger äußern.
Das macht die Öko-Enzyklika sehr überzeugend.

Wo verbanden sich Erkenntnisse der Forschung mit der christlichen
Lehre?

Dr. Hagencord: Was dem Papst gelang, war, Fachleute aus der
Wirtschaft und der Klimaforschung vorab ins Boot zu holen. Er nutzt
neueste wissenschaftliche Erkenntnisse, um von ihrem Boden einen
Blick auf die Schöpfung zu wagen. Das ist spektakulär, haben wir uns
doch an kirchliiche Verlautbarungen gewöhnt, die von Gott sprechen,
ohne Bezug zu nehmen auf die Wissenschaften. Dies mit dem Anspruch,
eine Wahrheit verkünden zu können, die davon unabhängig ist. Der
Papst macht das Gegenteil: Er redet von der Schöpfung, was der
ureigenste Auftrag der Kirche ist, nicht ohne diese Erkenntnisse




hinzuzuziehen. Das ist revolutionär, vergleicht man es mit der Art,
wie die Kirche etwa über Sexualität redet. Dort spielen Erkenntnisse
der Humanwissenschaften keine Rolle. Die Kirche maßt sich an, ohne
dieses Wissen darüber zu urteilen, was menschlich ist und was nicht.
Als Vatikan-Kardinalstaatssekretär Pietro Parolin die Zustimmung der
Iren zur Homo-Ehe als "Niederlage für die Menschheit" bezeichnet hat,
war dies tatsächlich eine Niederlage für die Kirche. Desweiteren geht
der Papst mit seiner Enzyklika auf der Spur des Zweiten Vatikanischen
Konzils voran, das die katholische Kirche schon vor 50 Jahren
gegenüber der Welt öffnete und forderte, die Sorgen und Nöte der
Menschen ernst zu nehmen.

Franziskus zitiert in seiner Enzyklika Amtsvorgänger und
Bischofskonferenzen. Steht er in einer päpstlichten Tradition oder
bricht er mit ihr?

Dr. Hagencord: Er schafft es, eine Tradition herauszulesen.
Tatsächlich hat bereits Paul VI. in der Enzyklika Populorum
progressio das Elend der Menschen und der Natur in den Blick genommen
und die Kirche zur Solidarität aufgerufen. Benedikt XVI. hat im
Bundestag von der "Würde der Erde" gesprochen. Mit Bezug auf diese
Quellen schafft Franziskus eine Kontinuität. Andere Passagen lesen
sich dagegen eher revolutionär. So ist die Absage an die
Anthropozentrik etwas Neues. Der Papst bestreitet, dass wir die Krone
der Schöpfung seien, dass die Erde für uns da sei. Er verlangt im
Gegenteil eine Haltung der Mitgeschöpflichkeit. Ebenso revolutionär
ist seine Absage an den Leib-Seele-Dualismus, der die herkömmliche
Theologie in die Haltung führte, nur der Mensch habe eine
unsterbliche Seele. Nach Franziskus verdunkele diese Haltung sogar
das Bild Jesu. Er bricht mit einer Theologie, für die Tiere letztlich
nur noch Sachen waren.

Ist die Abkehr vom alttestamentarischen "Macht Euch die Erde
untertan" vorbildlich für die Regierungschefs, denen trotz vieler
Klimakonferenzen der ultimative Wurf nicht gelingt?

Dr. Hagencord: Es müsste zumindest den Politikern aus christlichen
Parteien zu denken geben, dass der Papst sich nun auf die Seite der
Umweltschützer stellt, die die Ideologie einer Ausbeutung der Natur
als Fehlinterpretation der biblischen Botschaft geißeln. Würde dies
umgemünzt in politische Programme, hätte dies Folgen für die drei
Welten, von denen der Philosoph Klaus Michael Meyer-Abich schrieb:
die Nachwelt; die natürliche Mitwelt und die sogenannte Dritte Welt.
Bisher sind diese drei Welten noch Opfer der christlich geprägten,
westlichen Welt, die aus der Bibel die Annahme ableitete, die Erde
sei für sie da.

Die Enzyklika unterstreicht im Kern, wie sehr die soziale Frage
von der Bewahrung der Umwelt abhängig ist. Kann der Vorschlag einer
"integralen Ökologie" auch wegweisend für Politiker sein?

Dr. Hagencord: Obwohl die meisten Politiker einer Gleichrangigkeit
von Ökonomie und Ökologie das Wort reden, wird die Ökologie
letztendlich stiefmütterlich behandelt. Dem setzt der Papst eine
Theologie mit dem Gesicht zur Mehr-als-menschlichen-Welt entgegen.
Und dies, nachdem der christliche Westen über 500 Jahre eine
Theologie zementiert hat, die der nicht-menschlichen Welt den Rücken
zugekehrt hatte. Der Papst will die Haltung des Respektes und der
Mit-Geschöpflichkeit in den Mittelpunkt unseres Denkens rücken.

Spiegeln sich in der Tatsache, dass dies offenbar Mittelpunkt
seines Denkens ist, auch die argentinischen Wurzeln des Papstes
wider? Vor allem in seiner Aufmerksamkeit für die Ärmsten, die auch
die Verlierer des Klimawandels sein werden.

Dr. Hagencord: Mit Sicherheit, wobei sich in der Enzyklika mehrere
biografische Spuren zeigen. Der Papst ist einer der letzten Vertreter
der Befreiungstheologie, die von seinen beiden Vorgängern in
Lateinamerika verboten worden war. In den 80er-Jahren war die
Befreiungstheologie in Lateinamerika eine sehr laute Stimme auf
Seiten der Armen. Heute verknüpft Franziskus sein Eintreten für die
Armen mit einem für die Mitwelt. Eine zweite Spur charakterisiert
diese Enzyklika: die jesuitische. Denn Jesuiten verleugnen die
Erkenntnisse der Wissenschaft nicht, sondern berücksichtigen sie.
Jesuiten predigen einen Glauben, der auch zuhört und nicht immer
schon alles besser weiß. Die dritte Spur ist, dass sich der Papst als
Mann des Konzils versteht, also die Sorgen der Menschen ernst nimmt.

Der Papst weist dem Konsum in den Ländern des Nordens die
Verantwortung für das Leid im Süden zu. Wird das der Lage mit
energiehungrigen Schwellenstaaten wie Indien und China noch gerecht?

Dr. Hagencord: Das ist eine schwierige Frage, zumal diese Länder
in ihrem Drang nach Wachstum ohne Grenzen vom westlichen Denken
geimpft wurden. Ältere Traditionen werden so zugeschüttet: So
ernähren sich in Indien Millionen Hindus seit jeher vegetarisch in
dem Versuch, im Einklang mit der Natur zu leben. In China schreitet
die "McDonaldisierung" des Lebens voran, weil viele glauben, der
Verzehr von Fleisch, das Tiere aus Massentierhaltung liefern mussten,
gehöre zu einem gehobenen Lebensstil. Also werden auch in diesen
Schwellenländern die Folgen westlichen Denkens deutlich.

Kann einer Forderung nach einer "Rezession in gewissen Teilen der
Welt" Erfolg beschieden sein, wenn man sieht, wie hartnäckig mögliche
Wachstumsdämpfer wie Griechenland-Soli oder Kohleabgabe bekämpft
werden?

Dr. Hagencord: Das sind Punkte, in denen die klar formulierte
Parteinahme des Papstes auf die reale Welt trifft. Der Papst hat es
in seiner Enzyklika geschafft, sich nicht als Fachmann aufzuspielen,
der den Politiker konkrete Handlungsanweisungen gibt. Vielmehr wirft
er seine Autorität in die Waagschale, um damit christliche Politiker
erst mal auf den Weg zu schicken. Ich verstehe den Papst auch nicht
als Optimisten, sondern als jemanden, der eine Hoffnung hat. In
diesem Punkt liefert er ein großes Vorbild.

Der Papst benützt Ergebnisse wissenschaftlicher Studien zum
Klimawandel, kanonisiert sie quasi. Vermag er so auch
Klimawandelskeptikern - gerade in den USA - Vorbild sein?

Dr. Hagencord: Ich fürchte, nein, weil sich schon jetzt in diesen
Kreisen enormer Widerstand gegen diese Enzyklika aufbaut. Indem der
Papst kapitalismusnahen Theologien Denkfiguren genommen hat, die für
ihr Weltbild grundlegend sind, wie den Anthropozentrismus und das
dualistische Denken, wonach nur der Mensch eine unsterbliche Seele
hat, entzieht er ihnen die theologische Legitimation für ihr
bisheriges Wirken. Hier wendet sich der Papst erneut ab von einer
hermetischen Theologie, die nur um sich selbst kreist.

Ist der Grundton der Enzyklika deutlich pessimistischer als man es
von einem Christenmenschen erwarten würde?

Dr. Hagencord: Im Gegenteil. Franziskus zeigt eine Haltung, die
sich von dem, was in der Welt passiert, nicht lähmen lässt, die nicht
zynisch wird. Ausweislich seiner Enzyklika nimmt der Papst die
ökologische Bedrohung der Welt wahr und folgert: Eine andere Haltung
zur Natur liegt nahe. Damit spricht er auch ganz tiefe Sehnsüchte der
Menschen an, macht ihre Hoffnung stark. Dass er nichts ausspart und
nichts schönredet, stärkt eine Hoffnung, die uns leben lässt. All
denen, die schon bisher nicht verzagten, die sich für die Belange der
Natur engagierten, macht dieser Mann enorm Mut.

Das Interview führte Joachim Zießler



Pressekontakt:
Landeszeitung Lüneburg
Werner Kolbe
Telefon: +49 (04131) 740-282
werner.kolbe(at)landeszeitung.de


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Datum: 25.06.2015 - 14:29 Uhr
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