Rheinische Post: Griechenland -
Haltung statt Hadern
Kommentar Von Michael Bröcker
(ots) - Ein Euro ohne Griechenland ist eine
Win-win-Situation. In der Wirtschaftstheorie zumindest. Der
Reformdruck in der Rest-Gemeinschaft wäre nachhaltig erzwungen und
die Mitglieder wären zugleich ihren finanziellen Klotz am Bein los.
Das überschuldete Staatsgebilde Griechenland könnte durch die
Abwertung seiner neuen Währung und die daraus entstehenden Chancen
wirtschaftlich neu starten. Also worüber noch diskutieren? Wer den
Ökonomen beiseite und den Europäer zu Wort kommen lässt, muss indes
zu einem anderen Schluss kommen: No Grexit! Die Finanzmisere eines
kleinen Euro-Lands darf nicht das politische Jahrhundertprojekt
"Europäische Integration" infizieren. Welches Bild entsteht, wenn
Europa bei der ersten Krise ein Mitglied aus dem Euro drängt? Zu groß
das Risiko, dass Anleger sodann die Schuldenlast Spaniens, Portugals
und Italiens erneut ins Visier nehmen. Und: Ein Grexit wäre Aufwind
für die nationalistischen Tendenzen von London bis Budapest. Seht
her, in Europa gilt die Solidarität nur bis zum nächsten
Bankautomaten! Die EU müsste ihre Verträge umschreiben. Europäische
Segregation. Dazu darf es nicht kommen. Auch wenn der Wiederaufbau
Griechenlands Deutschland mehr kosten wird als die 80 Milliarden
Euro, für die es derzeit haftet (die sind so oder so weg). Auch wenn
es zum dritten oder - wer weiß? - zum vierten Hilfspaket kommt.
Entscheidend ist, dass Griechenlands Gläubiger nur mit der Zustimmung
der gewählten griechischen Regierung einen langfristigen Rettungsplan
entwerfen können. Natürlich agieren Athens Politiker teilweise
unverschämt, auch an dieser Stelle ist dies oft kritisiert worden.
Und die griechische Misere ist teilweise hausgemacht. Athen muss
strukturell sparen und die Korruption, dieses Krebsübel der
Gesellschaft, ernsthaft bekämpfen. Neulich erzählte eine griechische
Mutter, dass eine Schwangere dem Arzt in einer städtischen Klinik
noch vor der Entbindung das "Fakelaki", den Umschlag mit dem Bargeld,
überreichte. Die Frage ist nur, ob Europa Griechenland als Mitglied
und Partnerland hilft, oder ob es Griechenland sich selbst überlässt.
Heute Abend geht es deshalb um mehr als nur Reformmaßnahmen und
Defizitziele. Es geht um den Fortbestand des "geeinten Europa", wie
Kur Tucholsky sein Vaterland nannte. Angela Merkel spricht gerne von
der "Hader-Phase", wenn sie über ihre - mitunter langwierige -
Entscheidungsfindung bei heiklen Fragen spricht. Bei Griechenland
sind alle Argumente ausgetauscht. Jetzt geht es um Haltung.
Vielleicht auch ein wenig um Ideologie, ja Naivität. Aber
Pragmatismus hat Europa genug.
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Datum: 21.06.2015 - 19:26 Uhr
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