"DER STANDARD"-Kommentar zu Snowden, die USA und die Europäer:
"Viele Verlierer" von Josef Kirchengast
(ots) - Dass auch befreundete Staaten sich gegenseitig
ausspionieren, kann man empörend finden. Ändern wird sich dadurch
wenig bis nichts. Sollten sich die Geheimdienste wegen der
Enthüllungen Edward Snowdens derzeit etwas zurückhalten - was
ohnedies höchst fraglich ist -, so werden sie schnell wieder zum
"business as usual" zurückkehren. Eben weil es ihr Geschäft ist. Wie
gut die Geheimdienst-Internationale trotz der Arbeitsgrundlage des
wechselseitigen Misstrauens im Ernstfall funktioniert, wurde soeben
eindrucksvoll vorgespielt. Das Leitmotiv gab der russische Präsident
und Ex-Geheimdienstler Wladimir Putin vor: Mit seinem an die
Bedingung künftigen Wohlverhaltens geknüpften Asylangebot an Snowden
ließ er durchklingen, dass ihm ein solcher Verräter eigentlich
zuwider ist. Dass dann mehrere EU-Staaten den Luftraum für das
Flugzeug des bolivianischen Präsidenten Evo Morales sperrten, weil
Snowden an Bord vermutet wurde, ist ohne effiziente Kommunikation
zwischen US-Geheimdienstlern und ihren europäischen "Freunden" schwer
vorstellbar. Wer immer dann die Entscheidungen über die
Luftraumsperre gefällt hat (die nachträglichen Dementis gehören mit
zum Spiel): Im Falle Frankreichs hat er den Präsidenten
höchstpersönlich desavouiert - außer dieser billigte selbst die
Sperre, was für ihn noch peinlicher wäre. Denn noch am Montag hatte
Francois Hollande nach den Enthüllungen über das Ausspionieren
europäischer Auslandsvertretungen durch die USA verlangt, "dass das
sofort aufhört". Und einen Tag später sperrt das stolze Frankreich
auf Zuruf aus Washington brav seinen Luftraum, damit man des
Enthüllers habhaft werden kann? Oder war Hollandes Empörung nur
gespielt, weil der innenpolitisch angeschlagene Staatschef jede
Chance für mehr Popularität nutzen muss? Mit der offensichtlich
bereitwilligen Luftraumsperre haben die beteiligten Länder zweierlei
bewirkt: Die Lateinamerikaner fühlen sich behandelt wie zu
Kolonialzeiten. Und die europäische Position in der Abhöraffäre wurde
massiv unterhöhlt. Snowden mag mit seinem Geheimnisverrat US-Gesetze
gebrochen haben - er und seine Fürsprecher können immerhin
argumentieren, dass das Recht auf Schutz der Privatsphäre als
fundamentales Menschenrecht gegen die nationale Sicherheit
aufzuwiegen ist, mit der die umfassende Überwachung begründet wird.
Das kollektive Sicherheitsbedürfnis in Zeiten von Terrornetzwerken
und Cyberwar zu befriedigen und zugleich die persönliche Freiheit und
Unantastbarkeit zu gewährleisten ist eine heikle Gratwanderung.
Snowdens Enthüllungen zeigen, dass die Geheimdienste und ihre
Dirigenten von diesem schmalen Grat weit abgedriftet sind. Das
vergiftet nicht nur das Klima zwischen verbündeten Staaten, sondern
untergräbt das Vertrauen ihrer Bürger in die Grundlagen einer offenen
Gesellschaft. Mit am fatalsten daran ist, dass die westliche
Flaggschiff-Demokratie offenbar nicht erkennt, wie sehr sie sich
selbst damit schadet.
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Datum: 03.07.2013 - 18:54 Uhr
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Ausgabe vom 4.7.2013 Wien
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