DER STANDARD-Kommentar "Steile Ansagen" von Markus Bernath
(ots) - Sie haben verloren und verlieren nur weiter. Das
Nein zur Öffnung eines neuen Kapitels bei den Beitrittsverhandlungen
mit der EU_kann diese Woche die nächste große Niederlage für Tayyip
Erdogan und seine Regierung bedeuten. Der türkische Premier hat den
Weg der Konfrontation und der Unterdrückung der Protestbewegung in
seinem Land gewählt, die man mittlerweile mit Fug und Recht eine
Demokratie?bewegung nennen kann. Dialog und Kompromiss wären der
intelligente Weg gewesen. Jetzt aber lässt sich die türkische
Regierung Tag für Tag als eine verbohrt-autoritäre Partie vorführen.
Nichts gelingt ihr. Ein Debakel. Denn sie lernt auch nichts. Die
Chuzpe, mit der Erdogan und sein Europaminister Egemen Bagi_f - auch
kein Mann der abwägenden Worte - nun mit Parlament, Kommission und
Regierungen in der EU_umspringen, ist atemberaubend. Seit einer Woche
erklärt Erdogan seinem Wählervolk, dass er keinen Deut auf das
Straßburger Parlament gibt: "Wer bist du, dass du einen Beschluss
über mich fassen kannst? Das ist nicht deine Sache." Den EU-Beitritt
sieht er als naturgegebenes Recht, nicht etwa als Anerkennung für
Verpflichtungen, die zuerst einmal zu erfüllen wären: "Die Türkei ist
kein Land, das man vor der Tür warten lassen kann." Und Bagi_f, der
Chefunterhändler mit der EU, droht der deutschen Kanzlerin wegen
deren Kritik am Umgang mit den Demonstranten. Wer sich mit der Türkei
anlege, ende wie Nicolas Sarkozy, der frühere französische Präsident
und Türkei-Beitritts-Gegner, der 2012 die Wiederwahl verlor - so
erklärte Egemen Bagi_f vor Journalisten in Ankara, kein bisschen
gerührt von der Absurdität seiner Behauptung. Dass sich die türkische
Regierung nun ungerecht behandelt fühlt, überrascht zeigt über die
Einbestellung ihres Botschafters in Berlin und Empörung spielt über
die wohl verpasste Chance eines neuen Verhandlungskapitels, heißt,
die Europäer für dumm verkaufen zu wollen. Was anderes ist nach einer
solchen Darbietung zu erwarten? Angela Merkel hat noch etwas Zeit, um
ihren Fehler zu korrigieren, so ließ die türkische Diplomatie wissen.
Realitätsverlust und Überheblichkeit sind ihr Markenzeichen geworden.
Auch Außenminister Ahmet Davutoglu ist kompromittiert. Der immer
reitende Bote der Demokratie in der arabischen Welt, in Afrika und
Zentralasien hängt ebenfalls der Fiktion von der ausländisch
gesteuerten, von übel meinenden Kräften angefachten Protestbewegung
in seinem Land an. Davutoglu lässt nun prüfen, wer was im Westen über
die Proteste in der Türkei sagt und schreibt. Die seit mehr als zehn
Jahren am?tierende, zu Beginn reformorientierte
konservativ-islamische Regierung offenbart ein Gesicht, das man
lieber nicht gesehen hätte. Sie organisiert und respektiert eher
anstandslos demokratische Wahlen, doch die demokratische Kultur fehlt
ihr. Das Recht auf freie Meinungsäußerung räumt die türkische
Regierung den meisten ein (nicht den "Terroristen" der Linken und der
Kurden). Aber die Idee akzeptiert sie im Grunde nicht: Jeder kann
eine falsche Meinung haben und wird - so Gott will - früher oder
später schon seinen Irrtum erkennen; und Pluralismus ist, wenn
mehrere dasselbe denken. Hier liegt die Chance der jungen
Demokratiebewegung. Sie ändert jetzt schon die politische Kultur der
Türkei.
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Datum: 23.06.2013 - 18:22 Uhr
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Die türkische Regierung muss sich über die jüngste Abfuhr der EU nicht wundern Wien
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