Nachhaltig schenken ist möglich - gerade auch zu Weihnachten / "Nachhaltiger Konsum ist ein Trend mit Wachstumschancen" (BILD)

(ots) - 
   Immer mehr Menschen machen sich zu Weihnachten Geschenke, die 
nachhaltig sind. "Ich kenne einige Familien, die der 
Kommerzialisierung bewusst entgegentreten und ein Geschenkemoratorium
ausgerufen haben - Kinder natürlich ausgenommen", sagt die 
Wirtschaftswissenschafts-Professorin Lucia A. Reisch in einem 
Interview mit bmbf-online, der Online-Redaktion des 
Bundesministeriums für Bildung und Forschung. Nachhaltig schenken 
könne vieles sein: eine Spende für soziale Projekte oder 
Umweltprojekte, eine ethisch-ökologische Sparanlage für Jugendliche 
bei einer Kirchen- oder Umweltbank.  "Das schönste Geschenk aber ist 
nach wie vor Hinwendung und Zeit - verpackt in Selbstgemachtes oder 
eine gemeinsame Unternehmung", sagt Reisch, die Mitglied im Rat für  
Nachhaltige Entwicklung ist, der die nationale 
Nachhaltigkeitsstrategie der Bundesregierung begleitet. Nachhaltiger 
Konsum ist nach ihren Worten ein Trend mit Wachstumschancen: fair 
gehandelte Waren und regionale Lebensmittel würden immer stärker 
nachgefragt, das gelte auch für nachhaltige Mode oder sanften 
Tourismus. Doch müsse die Kommunikation für nachhaltigen Konsum noch 
mehr die Emotionen ansprechen und damit besser werden. "Über 
Vernunftargumente werden nur wenige Konsumenten erreichbar sein".
   Interview mit Lucia A. Reisch, Professorin für 
Wirtschaftswissenschaften an der Copenhagen Business School und der 
Zeppelin Universität Friedrichshafen
   bmbf-online: Frau Professor Reisch, Sie erforschen und lehren 
Konsumverhalten und Verbraucherpolitik. Nachhaltigkeit ist zu 
Weihnachten ein vieldiskutiertes Thema. Nachhaltig schenken - geht 
das?
   Reisch: Aber unbedingt. Schauen Sie mal in den sozialen Netzwerken
für strategischen Konsum, da gibt es jeden Tag schöne und nützliche 
Beispiele. Ich kenne auch einige Familien, die der Kommerzialisierung
bewusst entgegentreten und ein Geschenkemoratorium ausgerufen haben -
Kinder ausgenommen, natürlich - und statt dessen mit einer größeren 
Spende gezielt soziale oder Umweltprojekte unterstützen. Ein in 
mehrfacher Hinsicht sehr nachhaltiges Geschenk ist sicherlich auch 
eine ethisch-ökologische Sparanlage für Kinder und Jugendliche bei 
einer Kirchen- oder Umweltbank. In Fachzeitschriften, wie 
"Finanztest", kann man nachlesen, was sich für welche Sparziele 
eignet. Und nach wie vor ist das schönste Geschenk Hinwendung und 
Zeit - verpackt in Selbstgemachtes oder eine gemeinsame Unternehmung.
   bmbf-online: Haben wir in Deutschland in den vergangenen Jahren 
gelernt, nachhaltiger zu konsumieren?
   Reisch: Wenn man den Markt betrachtet, dann sehen wir eine Zunahme
bei fair gehandelten und vor allem bei regionalen Nahrungsmitteln, 
eine trotz Finanzkrise stabile Nachfrage an Bio-Lebensmitteln, eine 
steigende Nachfrage nach ethisch-ökologischen Geldanlagen, 
nachhaltiger Mode, sanftem Tourismus und Ähnlichem. Nachhaltiger 
Konsum ist ein Trend mit Wachstumschancen, aber überwiegend noch 
nicht massentauglich. Interessant ist aber, dass dieser Trend auch 
die konventionellen Produkte beeinflusst - deren Design, Rezepturen 
und Transparenzanforderungen.
   bmbf-online: Aber ist Konsum nicht noch mehr?
   Reisch: Richtig. Konsum ist nicht nur der Akt des Kaufens, sondern
umfasst die ganze Kette von Bedürfnis- und Bedarfsreflexion. Dazu 
gehört auch das Nichtkaufen, Selbermachen, Tauschen, Teilen und das  
gemeinsame Nutzen. Konsum ist auch Eigenproduktion, denken wir an die
neue Lust am Gärtnern - das "Urban Gardening" -, den Spaß am 
gemeinsam Kochen und Designen, Reparieren oder auch die neue 
Begeisterung für genossenschaftliche Energieproduktion. Immer mehr 
Menschen machen auch Politik mit dem Geldbeutel: Sie organisieren 
sich beispielsweise in Flashmobs und bestrafen oder belohnen das 
Verhalten von Unternehmen. Die Macht dieser Konsumentenbürger ist 
heute deutlich grösser als in vor-virtuellen Zeiten. In der digitalen
Gesellschaft ist Unternehmensgebaren viel transparenter.
   bmbf-online: Und im Vergleich der Kulturen: Gibt es da 
Unterschiede in Europa?
   Reisch: Die gibt es. Der Pro-Kopf-Verbrauch von Biolebensmitteln 
beispielsweise ist in Dänemark, Österreich und der Schweiz deutlich 
höher als in anderen Ländern. Dies hat aber weniger mit der Kultur zu
tun, als mit Marktstrukturen, Subventionen von Branchen und Sektoren 
und glaubwürdigen staatlichen Bio-Siegeln. Wichtig ist auch die Rolle
der Industrie: Wenn beispielsweise in einem Land die Textilwirtschaft
und das Modedesign wirtschaftlich eine große Rolle spielen wie in 
Schweden, dann wird dieser Markt auch von Unternehmen mehr gefördert 
und es gibt mehr und attraktivere Angebote als in anderen Ländern. Im
Vergleich zu den Vereinigten Staaten sind die Europäer insgesamt 
deutlich mehr an nachhaltigen Produkten und Dienstleistungen 
interessiert.
   bmbf-online: Menschen treffen täglich Konsumentscheidungen und 
handeln dabei meist nicht rational. Welche Rolle spielen Emotionen 
beim Einkauf?
   Reisch: Motivation zum Handeln ist immer auch emotional, so sind 
wir Menschen gestrickt. Die Neuroökonomie hat das wunderbar empirisch
gezeigt. Wir reagieren auf Belohnungen und Bestrafungen, vor allem 
auf soziale Ausgrenzung. Zudem entwickeln wir emotionale Beziehungen 
zu Marken und erleichtern damit unsere Kaufentscheidungen. Insofern 
ist zum Beispiel der Markenkauf eine sehr sinnvolle, da energie- und 
zeitsparende Strategie der menschlichen Psyche. Die Kommunikation für
nachhaltigen Konsum kann da noch viel vom kommerziellen Marketing 
lernen. Über Vernunftargumente werden nur wenige Konsumenten 
erreichbar sein. Und gegen soziale Normen - das umfasst auch Moden 
und Lebensstile - lässt sich kaum eine Verhaltensänderung 
durchsetzen.
   bmbf-online: Wäre es nicht einfacher, schlicht weniger zu 
konsumieren?
   Reisch: Natürlich. Wir nennen das die Suffizienzstrategie, also: 
Weniger ist mehr. Allerdings wird sie eher Sache einer Minderheit 
bleiben oder sich auf einzelne Produkte begrenzen. Kein Fleisch mehr,
kein Palmöl, keine großen Autos, weniger und langlebige Kleidung. Das
eigentliche Problem dabei: Suffizienz wird wenig diskutiert weil 
weniger Konsum unter den Bedingungen des heutigen Wirtschaftssystems 
auch weniger Wachstum bedeutet. Richtig wäre die Suffizienzstrategie 
natürlich. Und möglich auch, wenn man gleich die Rahmenbedingungen 
und Wirtschaftsstrukturen mit verändert.
   bmbf-online: Also ist gesellschaftliches Wohlbefinden nicht an 
Wirtschaftswachstum gekoppelt?
   Reisch: Wenn Sie Wohlfahrt, Zufriedenheit und postmateriellen 
Wohlstand meinen, dann eben nur bis zu einem gewissen Punkt. 
Wohlstand umfasst ja auch Zeitwohlstand, gesunde Umwelt, 
Lebensqualität. Ab einem gewissen materiellen Niveau, das in etwa der
Mittelklasse der heutigen Konsumgesellschaften entspricht, scheint 
zusätzliches persönliches Einkommenswachstum nicht oder kaum noch zur
Lebensqualität beizutragen. Dies hängt vor allem mit zwei Dingen 
zusammen: Zum einen verwenden die allermeisten Menschen ein relatives
Wohlstandskonzept. Es ist wichtiger, wo in der Wohlstandspyramide 
einer Gesellschaft man steht, als wie viel man absolut hat. Zum 
anderen tritt ab einem gewissen Einkommen das Materielle in Zeit- und
Aufmerksamkeitskonkurrenz zu anderen erfüllenden Aktivitäten. Und 
diese sind laut Glücksforschung genau diejenigen, die uns nicht nur 
zufrieden, sondern glücklich machen.
   bmbf-online: Sie sind Mitglied im Rat für Nachhaltige Entwicklung.
Seine Aufgabe ist es, die nationale Nachhaltigkeitsstrategie der 
Bundesregierung zu begleiten. Das Bundesministerium für Bildung und 
Forschung fördert in einem umfassenden Rahmenprogramm die Forschung 
für nachhaltige Entwicklungen (FONA)und hat auch sein 
"Wissenschaftsjahr 2012" der Nachhaltigkeit gewidmet. Warum sind 
diese Projekte und Fördermaßnahmen so wichtig?
   Reisch: Die Probleme drängen und die Menschen stellen die sie 
bedrängenden Fragen: Kann man den Klimawandel noch stoppen? Wieso 
geht es mit der Energiewende nur langsam voran? Welche Möglichkeiten 
haben Konsumenten? Wie kommuniziere ich meinen Kunden nachhaltigere 
Angebote? Deutschland ist weltweit ein Spitzenreiter in Sachen 
Umwelt- und Energie. Spätestens seit der Energiewende schaut die Welt
auf uns. Dies bedeutet auch eine besondere Verantwortung für die 
Wissenschaft.
   Weitere Informationen finden Sie unter:
   http://www.bmbf.de/ 
   http://www.fona.de/
   http://www.zukunftsprojekt-erde.de/
Pressekontakt:
Strategische Kommunikation/Internationale Presse
Frau Gabriele Hermani
Bundesministerium für Bildung und Forschung
Hannoversche Straße 28-30, 10115 Berlin
Tel.: +49 (O)30 1857-5491
E-Mail: ls4(at)bmbf.bund.de
      
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Datum: 17.12.2012 - 10:26 Uhr
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