DER STANDARD-Kommentar "Vater, Mutter, Kind" von Conrad Seidl
(ots) - Wer über Familien redet, muss zuerst über die
Wirtschaft reden. Die hat in guten Jahren ermöglicht, dass ein
einfacher Arbeiter, sagen wir: ein Buschauffeur, so viel verdient
hat, dass er von seinem Einkommen eine vierköpfige Familie erhalten
und ihr einen bescheidenen Urlaub ermöglichen konnte. Diese "guten
Jahre" waren die 1960er-Jahre. Die Welt, sprich: die Wirtschaft, hat
sich in der Zwischenzeit in zwei Punkten geändert. Erstens hat es
enorme Produktionsfortschritte gegeben - leider nicht bei den
Buschauffeuren und anderen relativ einfachen Tätigkeiten; das
Einkommen ist dort relativ zurückgefallen.
Zweitens hat sich die Gesellschaft massiv verändert: Seit den
1970er-Jahren hat sich die Ansicht durchgesetzt, dass es für Frauen
besser ist, wenn sie nicht vom Einkommen des "Familienerhalters"
abhängig sind - es wurde zum gesellschaftlichen Konsens, dass eine
hohe Teilnahme von Frauen am Arbeitsmarkt wünschenswert ist, auch um
den Preis, dass die bisherigen (sprich: männlichen)
Arbeitsmarktteilnehmer Lohnzurückhaltung üben. Die Folge für den als
Beispiel genannten Busfahrer und seine Familie: Der Familienerhalter
trägt weniger zum Wirtschaftswachstum bei, erhält daher auch ein
relativ geringeres Entgelt - seinen Anteil am Wachstum musste er mit
mehr Personen teilen, konkret: mit seiner Frau, die nun auch zum
Familieneinkommen beiträgt.
All das war politisch und gesellschaftlich erwünscht. Notabene: nicht
von der ÖVP. Die hatte ein Familienbild, in das unser Busfahrer aus
den 1960ern gut hineingepasst hätte: heile Familie, Vater, Mutter,
Kind.
Sie hat dieses Familienbild noch heute. Sie tut sich auch schwer mit
der Erkenntnis, dass viele Männer ihre Frauen (und die gemeinsamen
Kinder) verlassen. Sie tut sich noch schwerer damit, dass Männer mit
Männern und Frauen mit Frauen Partnerschaften eingehen -
Partnerschaften, in die Kinder mitgebracht werden; auch:
Partnerschaften, in denen Kinder gewünscht werden, obwohl da eben
keine Vater-Mutter- Kind-Familie entsteht. Man muss der Volkspartei
zugestehen, dass sie die erste Partei war, die das Phänomen "neue
Formen des Zusammenlebens" entdeckt und 1972 in ihrem "Salzburger
Programm" anerkannt hat.
Aber damals war das noch eine Randerscheinung. Heute ist es üblich,
dass Väter die Familien verlassen, dass Frauen oft nach Jahrzehnten
eher unglücklicher Ehen weggehen und dass alles andere moderner ist
als die Vater-Mutter-Kind-Familie. Andererseits: Dieses Ideal wird
heute noch in Umfragen von den meisten jungen Menschen als (schwer
erreichbares) Ziel angegeben. Und es wird laut Statistik Austria im
Jahr 2015 immer noch von 826.000 Familien gelebt werden.
Es gibt sie also noch, die Kernfamilie, auch wenn sie auf dem Rückzug
ist. Aus christlich-sozialer Sicht kann man der Meinung sein, dass
dieser Trend zu stoppen wäre, wenn man die Kernfamilie stärkt - etwa
durch steuerliche Förderungen und Sachleistungen (oder, wie es
extreme Politiker vorschlagen: ordnungsstaatlich durch ein
restriktives Scheidungsrecht). Der ehrliche Ansatz müsste aber bei
der Wirtschaft liegen. Die Fragen lauten: Liegt alle
Selbstverwirklichung nur im Erwirtschaften von Arbeitseinkommen?
Brauchen wir eine andere Verteilung? Diese Fragen aber stellt
allenfalls Attac, nicht die ÖVP.
Und deshalb tut sie sich so schwer, ein neues Familienbild zu
entwickeln.
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Datum: 03.12.2012 - 19:06 Uhr
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Wer die Wirtschaft als zentralen Wert sieht, kann Familienwerte nicht schätzen Wien
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