"DER STANDARD"-Kommentar: "Islamismus als Symptom" von Christoph
Prantner
(ots) - Mohammed M. ist tot. Sein Name aber wird weiterleben,
als ein Kennwort für einen unfassbaren Exzess an Gewalt, der nach
Frankreich auch andere Länder treffen kann - jederzeit, und scheinbar
aus dem Nichts. Denn der gesellschaftliche Nährboden für Taten wie
diese, der ist in ganz Europa fruchtbar.
Die Frage nach dem "Warum", nach M.s Motiv, ist nicht mehr
hinreichend zu beantworten. Viele der Hintergründe, die zu den Morden
von Toulouse führten, werden durch den Tod des 23-Jährigen für immer
im Dunklen bleiben. Es lässt sich nur spekulieren, ob er in
französischer Strafhaft oder in Terrorcamps am Hindukusch
radikalisiert wurde und ab wann seine Weltanschauung in blanken
Extremismus umschlug. Auch was ihn schließlich dazu veranlasste, die
Schwelle vom Kleinkriminellen zum Killer zu überschreiten, wird
niemand mehr mit absoluter Sicherheit klären können.
Beleuchten allerdings lässt sich sein Umfeld, das dem so vieler
zorniger junger Männer gleicht, die ohne Perspektive durch ihr Leben
schlittern. Angesiedelt zwischen verschiedenen Ethnien, verschiedenen
Identitäten und, wie einige nun sagen, zwischen "Irrsinn und
Al-Kaida" hat M. irgendwann die falsche Abzweigung auf seinem Weg
genommen. Frustriert von der Ausweglosigkeit der französischen
Vorstädte, angetrieben vom Hass des Zurückgesetzten, betrat er den
Pfad des Fundamentalismus. Dieser versprach, seine Welt zu ordnen, so
wie er etwa in jener von Anders Behring Breivik - eines anderen
mörderischen "einsamen Wolfes" - zu einem Handlauf geworden war, der
durch eine komplizierte Welt führen konnte.
In dieser Lesart sind Islamismus wie christlicher Fundamentalismus
nicht mehr als Symptome oder mörderische Ausdrucksweisen viel tiefer
liegender sozialer Probleme. Genau diese wollte der französische
Staatspräsident einst in der Banlieue mit einem Hochdruckreiniger,
dem Kärcher, beseitigen. In Wirklichkeit hat sich nach dem
populistischen Ausbruch Nicolas Sarkozys nichts geändert. In den
Vorstädten leben noch immer die Ausgeschlossenen der inzwischen
dritten Zuwanderergeneration, um ihre Eingemeindung in die
Gesellschaft kümmert sich niemand.
Dass das auch weiterhin so bleiben wird, steht nach den Reaktionen
auf den Serienmord in Toulouse zu befürchten. Sarkozys Ankündigungen,
seine Selbstinszenierung als Krisenmanager sind Wahlkampfgetöse, das
auf leergedroschene Phrasen setzt. Ob ihm das für die Wahlen nützt,
muss man erst sehen. Viele Beobachter sagen, mit einem
Anti-Immigrations- und strikten Law-and-Order-Kurs könnte er vor
allem in der Stichwahl für die französische Präsidentschaft Anhänger
des Front National für sich gewinnen. Das sei seine wahrscheinlich
einzige realistische Chance, gegen den in Umfragen führenden
Sozialisten Franx{2588}ois Hollande zu bestehen.
Ist das tatsächlich so, mag das gut für Nicolas Sarkozy sein. Ob es
gut für ganz Frankreich ist, ist eine andere Frage. Denn bleiben die
sozialen Probleme unbearbeitet, wird es auch nicht das letzte Mal
gewesen sein, dass sich ein Verblendeter zum Herren über Leben und
Tod aufschwingt, dass eine Nation über ein unvorstellbares Blutbad
trauern muss und dass es keine nachvollziehbare Erklärung dafür gibt.
Das gilt für Frankreich, das gilt auch für andere sozialen
Brennpunkte in Europa, in denen Menschen marginalisiert und mehr oder
weniger sich selbst überlassen bleiben.
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Datum: 22.03.2012 - 19:04 Uhr
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Eine Erklärung für das Blutbad von Toulouse ist gesellschaftliche Marginalisierung. (Ausgabe vom 23.
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