BERLINER MORGENPOST: Berlins schönster Ausnahmezustand - Leitartikel
(ots) - Wir glaubten einmal, die Berlinale sei ein
Filmfestival. Wir haben uns geirrt. Zumindest seit Dieter Kosslick
die Direktion übernommen hat. Die 61.Filmfestspiele, die
heute Abend eröffnet werden, sind bereits die zehnten unter seiner
Ägide. Und wie ist der Apparat ausgewachsen in der Ära Kosslick. Es
geht längst nicht mehr nur darum, passiv Filme im Kino (und Stars am
Teppich) zu schauen. Kosslick hat das Festival ausgeweitet. Er hat es
mit dem Talent Campus auch zum Workshop für Filmnachwuchs gemacht;
hat es auch für völlig filmfremde Metiers geöffnet: mit dem Forum
Expanded wird die ganze kreative Kunstszene der Stadt miteingebunden,
und mit dem Kulinarischen Kino werden plötzlich auch Star-Köche
filmaffin. Zugleich ist das Festival weit über sein angestammtes
Areal, den Potsdamer Platz, expandiert, bis tief in den Osten ist es
ausgewachsen und drängt seit Neustem auch noch in die Kieze. Gern
wird in diesem Zusammenhang vom "Kraken Berlinale" gesprochen, der
geografisch wie thematisch seine Tentakeln weit ausstreckt. Die
Berlinale, so haben wir gelernt, ist nicht nur ein Film-, sie ist ein
Stadtfestival. Aber auch hier haben wir zu kurz gedacht. Die
Berlinale ist ein Lebensgefühl. Wir wollen nicht so weit gehen, wie
beim Karneval von einer "fünften Jahreszeit" zu sprechen. Aber
irgendwie ist doch für die kommenden zehn Tage wieder ein
Ausnahmezustand ausgerufen, in dem die unterschiedlichsten Bewohner
und Gäste der Stadt von einem Fieber angesteckt werden, von dem sie
meinen, dass es dasselbe sei. Nun mag der Infekt nicht bei allen
gleich wirken, aber tatsächlich gehen hier komplette
Parallelfestivals vonstatten. Weil bei der gigantischen Größe und der
unübersichtlichen Bandbreite des Programms jeder einen buchstäblich
anderen Film erlebt. Es gibt die Zaungäste, die nur mal den Rummel
auf dem roten Teppich erleben wollen. Es gibt die Filmfreaks, die die
abwegigsten Titel aus den entlegensten Filmregionen entdecken wollen.
Verleiher, die auf dem Filmmarkt ganz andere Filme gucken und kaufen.
Und natürlich auch die Stars, die von einer Party zur nächsten hasten
und nie dazu kommen, ins Kino zu gehen, weil man "networken" muss. Es
gibt aber auch immer mehr Kneipen, Läden und Partyveranstalter, die
zu eigenen Berlinale-Events aufrufen, einfach weil Festival ist und
man auch was bieten will. Von der riesigen Cinema-for-Peace-Gala bis
hin zu kleinsten Eckkneipaktionen. Die Berlinale, ein Lebensgefühl.
Das Festival hat dafür sogar ein markantes Sinnbild gefunden. Das
diesjährige Plakat ziert ein einziger Buchstabe, ein großes, von
Lichtstrahlen umkränztes B, das einem an allen Ecken begegnet.
Vergessen sei die Werbekampagne "be Berlin" (die mancher krampfig
fand). B steht für alles, für Berlin, für die Berlinale - und das
Lebensgefühl, das uns alle überkommt in den kommenden zehn Tagen. Und
die wenigen, die doch ihren Geschäften nachgehen und nicht von dem
Infekt angesteckt sein sollten, wollen wir bitten, nachsichtig zu
sein mit all jenen, die da rund um den Potsdamer Platz, aber auch in
den Kiezen vielleicht in einer anderen Sphäre schweben. Es ist eben
der schönste Ausnahmezustand, den diese Stadt zu bieten hat.
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Datum: 09.02.2011 - 20:38 Uhr
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