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Die Coronakrise hat die Ungerechtigkeiten im Bildungssystem deutlich zutage treten lassen. Mehr Geld allein reicht nicht - die Art zu lernen muss sichändern, Kommentar von Anna Lehmann

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(ots) - Von Anna Lehmann

Das Schuljahr, das nie richtig begonnen hat, ist in einigen Bundesländern schon fast wieder zu Ende. In wenigen Wochen gibt es Zeugnisse. Alles wie gewohnt also. Obwohl alles anders ist. Fast 90 Prozent der Schulen arbeiten derzeit im sogenannten Wechselmodell, das heißt, die Schüler kommen für einige Stunden oder Tage in die Schule und bearbeiten ansonsten Aufgaben zu Hause.

Als Deutschland vor über einem Jahr in den Lockdown ging, war viel von der Krise als Chance die Rede. So, als wenn plötzlich der geliebte Diesel kaputtgeht und man zum ersten Mal ernsthaft darüber nachdenkt, ob man ein eigenes Auto braucht. Und als die Schulen schlossen und der Schulalltag stockte, fragten sich viele, ob wie und was dort gelernt wird, wirklich noch ins 21. Jahrhundert passt. Die Krise hält an, die Chance blieb bislang ungenutzt. Die Schulen stiegen, so gesehen, einfach auf ein Hybridauto um. Viele Schü­le­r:in­nen und Leh­re­r:in­nen erhielten zwar im Hauruckverfahren Tablets, sie tummelten sich plötzlich auf Lernplattformen und trafen sich in Videokonferenzen. Der digitalen Revolution in den Schulen folgte bislang jedoch keine Bildungsrevolution.

Die Zeit des Ausschlafens ist für die meisten Kinder wieder vorbei, der Leistungsdruck zurück. Die Kul­tus­mi­nis­te­r:in­nen halten krampfhaft an veralteten Bildungsstandards fest, in denen der Begriff "soziale Medien" noch nicht mal auftaucht. Sie betonen den Wert von Prüfungen und Zensuren; auch das Sitzenbleiben, das im vergangenen Schuljahr ausgesetzt war, ist wieder üblich.

Die Zahl der Schüler:innen, die während der Schulschließung den Anschluss verloren haben, wird wohl wachsen, die Bundesbildungsministerin rechnet damit, dass bis zu 20 Prozent der Schü­le­r:in­nen deutliche Lernlücken haben. Die Bundesregierung hat deshalb in dieser Woche ein sogenanntes Aufholpaket beschlossen - 1 Milliarde Euro soll allein in Nachhilfe und Zusatzunterricht fließen, um Lernlücken in den Kernfächern zu schließen. Falsch ist es nicht, Kinder, die langsam lernen oder bei denen zu Hause keine Bücherwände stehen, gezielt und zusätzlich zu fördern. Falsch ist jedoch der Gedanke, dass dafür ein Jahr und 1 Milliarde Euro genügen. Denn die Coronakrise hat bestehende Verwerfungen im Bildungssystem nur schärfer zutage treten lassen. Dass die häusliche Umgebung viel Einfluss darauf hat, wie ein Kind in der Schule reüssiert, gilt nicht erst in Zeiten des Zuhauselernens.





Der sechste Armuts- und Reichtumsbericht, mit dem sich die Bundesregierung in der kommenden Woche befassen wird, zeigt die soziale Ungleichheit im Bildungssystem. Drei von vier Kindern aus gut situierten und gebildeten Elternhäusern besuchen ein Gymnasium und machen Abitur - in Familien, die arm und wenig gebildet sind, wechselt nur jedes dritte Kind an diese Schulform. Auch wenn eine Schulstrukturreform politisch derzeit nicht zur Debatte steht - es ist noch nicht zu spät, diese Krise auch als Chance für die Bildung zu begreifen. Auf dem taz.lab regte der Schulleiter eines Gymnasiums genau das an: Warum den Präsenzunterricht nicht für Austausch und Begegnung nutzen, anstatt dort Wissen abzufragen? Warum nicht Klassenarbeiten mit allen Hilfsmitteln schreiben? Und Zensuren als die dominante Form der Leistungsbewertung zu überdenken?

Das geht nicht? Das ist die Realität! Die Biontech-Gründer Özlem Türeci und Uguar Sahin haben nicht jahrelang Formeln gepaukt und dann aus dem Gedächtnis in vier Stunden einen Impfstoff entwickelt. Und eigentlich wissen es auch die Bil­dungs­mi­nis­te­r:in­nen besser. 2017 verabschiedeten sie eine Strategie zur Bildung in der digitalen Welt, in der es heißt, dass sich das Lernen verändern werde - weniger reproduktiv und mehr prozessorientiert. Da ist die Rede von inklusiver Bildung, Lernen im Team und veränderten Prüfungsformaten.

Die Ideen für eine Bildungsrevolution sind also da. Um sie umzusetzen, braucht es nicht nur mehr Geld. Es braucht zunächst den Mut, die richtigen Schlussfolgerungen aus der Krise zu ziehen.

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taz - die tageszeitung
Susanne Knaul
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Datum: 07.05.2021 - 16:18 Uhr
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