NOZ: Widerstand in der DDR: Stasi-Unterlagen-Beauftragter plädiert für differenzierten Blick
(ots) - Jahn erinnert sich an Konflikte auch in eigener 
Familie - "Habe viele Kompromisse gemacht aus Rücksicht auf meine 
Eltern"
   Osnabrück. Roland Jahn, Bundesbeauftragter für die 
Stasi-Unterlagen, plädiert dafür, auch 30 Jahre nach dem Mauerfall 
einen differenzierten Blick auf die Menschen in der früheren DDR zu 
bewahren. "Pauschalvorwürfe helfen uns nicht weiter", sagte Jahn im 
Interview mit der "Neuen Osnabrücker Zeitung" (NOZ). Auch in seiner 
eigenen Familie habe es Diskussionen darum gegeben, wie viel 
Widerstand gegen die DDR-Diktatur möglich sei. "Das war immer ein 
Konflikt - zwischen den Generationen, aber auch ein politischer 
Konflikt um die Frage: Was bringt es, Widerstand zu leisten?", sagte 
Jahn. Genau an diesem Punkt habe "die Sippenverfolgung in der DDR 
angesetzt", erinnerte er. "Die Staatssicherheit hat skrupellos 
agiert, indem sie die gesamte Familie haftbar gemacht hat für den 
Einzelnen. Das war Methode", beschrieb der heute 66-Jährige, der seit
2011 der Stasi-Unterlagenbehörde vorsteht.
   Zu DDR-Zeiten hatte Jahn mit verschiedenen Aktionen gegen das 
Regime gekämpft, war mehrfach verhört worden, saß monatelang in Haft 
und wurde 1983 schließlich zwangsweise in den Westen ausgebürgert. 
"Die gewaltsame Ausbürgerung 1983 war ohne Frage ein traumatisches 
Erlebnis für mich, das bis heute nachwirkt", sagte Jahn. Man sei 
"immer unter Druck gewesen", beschrieb der gebürtige Thüringer das 
Leben in der Diktatur. "Ich habe viele Kompromisse gemacht aus 
Rücksicht auf meine Eltern. Zu Hause war der Disput natürlich immer 
präsent. Meine Eltern haben mir Vorwürfe gemacht, als ich an der Uni 
protestiert hatte gegen die Ausbürgerung des Liedermachers Wolf 
Biermann. Mein Vater war klar und deutlich: Warum gefährdest du wegen
eines Scheiß-Liedermachers das Glück der ganzen Familie?"
   Nach der friedlichen Revolution im Herbst 1989 und der Besetzung 
der Stasi-Zentrale an der Normannenstraße in Berlin am 15. Januar 
1990 war Jahns Akte die erste, die geöffnet wurde. "Das geht unter 
die Haut, wenn man sieht, dass sogar der Schulweg der achtjährigen 
Tochter observiert wird. Das ist etwas, wo man sich fragt, was sie 
alles vorhatten, und dankbar ist, dass man noch gut davongekommen 
ist", sagte Jahn.
   Freiheit sei für ihn auch heute noch keine Selbstverständlichkeit,
so der Bundesbeauftragte. "Gerade durch meine Arbeit weiß ich, dass 
Freiheit eben nicht selbstverständlich ist. Ich habe immer von 
Freiheit geträumt. Wenn man im Knast sitzt, braucht man Träume, die 
einem Hoffnung geben für die Zukunft. Die Welt zu bereisen ist einer 
dieser Träume von mir. Am Ende kann es sein, dass ich gar keine 
wirkliche Weltreise mache. Aber ich freue mich, dass ich es könnte. 
So viele konnten das nicht, jahrzehntelang", sagte Jahn im 
NOZ-Interview. "Wenn Menschen in Isolation gehalten werden, dieses 
Eingesperrtsein, das vergisst man nicht. Die Freiheit, die ich heute 
spüre und auch bei anderen sehe, ist für mich jeden Tag ein Grund zur
Freude", fügte Jahn hinzu.
   Insgesamt 111 Kilometer Akten hat der Geheimdienst der DDR in den 
40 Jahren seines Bestehens gesammelt. Die Akten wurden nach der 
friedlichen Revolution der Öffentlichkeit zugänglich gemacht, 
insgesamt 3,2 Millionen Anfragen zur Akteneinsicht sind seither bei 
der Behörde eingegangen, im vergangenen Jahr waren es 43.000 
Anfragen. Das Gelände der ehemaligen Stasi-Zentrale, heute "Campus 
für Demokratie", beherbergt nun unter anderem das Stasi-Museum mit 
dem Original-Büro des ehemaligen Stasi-Chefs Erich Mielke, aber auch 
eine Freiluft-Ausstellung zur friedlichen Revolution. Aus dem "Ort 
der Repression und der Revolution" sei "ein Ort der Aufklärung 
geworden", erklärt Jahn. "Die Akten, Dokumente des Unrechts, können 
genutzt werden zur Aufklärung dessen, was geschehen ist. Das ist 
wichtig gewesen für die vergangenen 30 Jahre und wichtig für die 
Zukunft", betont er.
   Roland Jahn wird noch bis zum Sommer 2021 als Bundesbeauftragter 
für die Stasi-Unterlagen im Dienst sein, danach wird die Behörde 
aufgelöst, das Archiv in das Bundesarchiv überführt. Akteneinsicht 
wird weiterhin möglich sein.
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